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Zurück in die Zukunft? #33

Inselritter

Marvin, Christian und ein Jaguar S-Type

von Chris Winter
Fotos: Christian Blut

Dieser Jaguar S-Type fällt auf. Kein gepflegtes zurückhaltendes Understatement verströmt die Limousine der oberen Mittelklasse des britischen Herstellers. Zwar glänzt die springende Raubkatze auf der lang gestreckten Motorhaube im Tageslicht, aber die vielen Firmenaufkleber auf der mattschwarz folierten Karosserie, der eher untypische Dachträger, die Startnummer 089 auf Fahrer- und Beifahrertür und schließlich die Namen „Christian“ und „Marvin“ mit der bundesdeutschen Fahne auf der Scheibe der linken hinteren Tür weisen auf etwas Nichtalltägliches hin. Auch das graue Panzer-Klebeband, dass die Scheibe der Beifahrertüre fixiert, mag so gar nicht zu „Willi the Beeast“ passen, so der Name des Jaguar S-Type. Der schwerwiegende Defekt am Bewegungsapparat des Jaguars ist nicht zu sehen, macht sich im Fahrbetrieb hingegen sehr bemerkbar: Der Rückwärtsgang funktioniert nicht.

Marvin Eck aus Geroldshausen und der Weitramsdorfer Christian Blut sind am 11. Mai in Brüssel mit diesem Wagen bei der Rallye „Knight of the Island“ gestartet. Zehn Tage später, immer noch ohne funktionierenden Rückwärtsgang, mit 3500 Kilometern mehr auf dem Tachometer und mit 2000 Euro für die Deutsche Kinderkrebsstiftung sind die beiden am Ziel in Edinburgh angekommen. Veranstaltet wurde die Fahrt England–Schottland–Wales vom Superlative Adventure Club. Zwei Vorgaben gibt de Reiseveranstalter den Rallye-Teilnehmern mit auf den Weg: Es müssen Spenden für einen wohltätigen Zweck gesammelt werden, das Fahrzeug muss mindestens 20 Jahre alt sein, Navi oder GPS sind tabu und auch Autobahnen müssen gemieden werden. Zur Orientierung muss auf Karte und Kompass zurückgegriffen werden.

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Christian Blut und Marvin Eck kennen sich seit gemeinsamen Jahren bei der Bundeswehr „schon unser halbes Leben und wir entfliehen konsequent gemeinsam jedes Jahr dem Alltag“. Nach der Bundeswehrzeit haben sich die beiden Freunde etwas aus den Augen verloren. Ausbildung, Beruf und Beziehungen standen im Vordergrund. Vor einigen Jahren begannen der hauptberufliche Betreuer und der Logopäde, für eine Woche aus dem Alltag auszubrechen. Zusammen sind sie um das Matterhorn gewandert, haben zu Fuß die Alpen überquert oder die Dolomiten durchmessen. „Aber der Beruf lässt uns wenig Zeit zur Vorbereitung, daher haben wir uns etwas weniger körperlich Forderndes gesucht“, erklärt Christian Blut. An einem Sonntag im November vergangenen Jahres haben Marvin und Christian über die Rallye am Telefon gesprochen – wir wohnen etwa 100 Kilometer voneinander entfernt – „am nächsten Tag haben wir uns angemeldet“.


„Für uns stand das Kennenlernen von Land und Leuten im Vordergrund.“


Zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein ausreichend altes Gefährt für die „Knight of the Island“. Für verhältnismäßig wenig Geld wurde der Jaguar S erworben. Schließlich sollte „England Scotland – Wales“ Insel mit Stil unter die Räder genommen werden. Zunächst stand eine umfangreiche professionelle Überholung an. „Wir beide haben jeder einen Führerschein, aber Autoschrauber sind wir nicht“, bekennt Christian Blut. Nach einer Laufleistung von bislang 200.000 Kilometern wurde die komplette Hinterachse des Jaguars erneuert und „uns wurde geraten, das Getriebe spülen zu lassen.“ Gesagt, getan – seither funktioniert der Rückwärtsgang des Automatikgetriebes nicht mehr.

Dieses technische Manko hat sich nicht als Nachteil erwiesen – ganz im Gegenteil, weiß Christian Blut zu berichten. „Wenn auf den schmalen einspurigen Straßen in Wales einmal zu rangieren war, um entgegenkommende Fahrzeuge passieren zu lassen, haben alle beim Schieben geholfen. Da kommt man ganz schnell ins Gespräch.“ Mit Hilfe von Sponsoren wurden der Jaguar für die Rallye fit gemacht und Teile der Campingausrüstung beschafft. Marvin und Christian haben während der zehn Tage fast nur gecampt. „Am vierten Tag war die warme Dusche sehr angenehm.“ Für die Übernachtungen entlang der Strecke war auf dem Wagendach ein Dachgepäckträger mit Zelt montiert. „250 Hersteller von solchen Dachzelten gibt es. Die habe ich alle angemailt. Der Sponsor bekommt dafür Fotos und Videos zu Werbezwecken“, erzählt Christian Blut. Für den gelernten Industriefotografen war das keine schwere Aufgabe. Auf der anderen Seite kümmerte sich Marvin Eck um Spender für den karitativen Zweck.

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Die doch umfangreiche Beladung des Jaguars machte auf der Insel die Fahrt in eine Werkstatt unumgänglich. „Durch das Gewicht der Campingausrüstung, der Verpflegung und des Dachzeltes waren die hinteren Reifen nach vier Tagen bis auf die Karkasse abgefahren.“ An der Fahrweise mit dem 238 PS starken Jaguar habe es bestimmt nicht gelegen, denn das Roadbook der Rallye führte die 110 Teams der Rallye „Knight of the Island“ stets über Nebenstraßen. Dort sind maximal 60 Miles pro Stunde erlaubt, also 96 Stundenkilometer.

Dem Team aus Weitramsdorf und Geroldshausen war die Platzierung gar nicht wichtig. „Für uns stand das Kennenlernen von Land und Leuten im Vordergrund.“ Deshalb habe es auch den einen oder anderen Abstecher von der „offiziellen“ Route gegeben, die aber auch zu vielen schönen Orten führte. Für Christian Blut war es etwa wichtig, „eine Stunde am Hadrianswall entlang zu gehen“, dem antiken römischen Befestigungssystem nahe der englisch-schottischen Grenze. Und der Umweg zu einer Whiskey-Destillerie war für Marvin Eck und Christian Blut eine Selbstverständlichkeit.

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Natürlich habe es unter den 110 Mannschaften auch rein sportlich orientierte Teams gegeben, die stets Fahrzeit und Platzierung im Fokus hatten. Andere wiederum versuchten, möglichst alle Aufgaben zu lösen, die der Veranstalter den Teilnehmern vorschlug. Da ging es etwa darum, sich im Auto mit einem Schaf fotografieren zu lassen oder eine Büroklammer gegen einen Regenschirm einzutauschen. Very british. Trotzdem legte sich das Team Eck/Blut beim Video- und Fotowettbewerb ins Zeug. „Denn da gibt es einen Startplatz für eine der Rallyes im Jahr 2020 zu gewinnen“, sagt Christian Eck. Das „Baltic Sea Circle“ – rund um die Ostsee über eine Distanz von 7500 Kilometer ist als mögliches Ziel im kommenden Jahr auserkoren worden.

Dazu wird auf jeden Fall der elektrische Fensterheber der Beifahrertüre repariert und vielleicht auch die Klimaanlage. Ob auch das Getriebe des dann 21 Jahre alten Jaguar S-Type instandgesetzt wird, ist noch nicht endgültig sicher. Es geht ja auch ohne Rückwärtsgang.


„Durch das Gewicht der Campingausrüstung, der Verpflegung und des Dachzeltes waren die hinteren Reifen nach vier Tagen bis auf die Karkasse abgefahren.“

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