„Eine Frage des Überlebens“
Der neue Geschäftsführer von Zukunft.Coburg.Digital im Interview
Neue Techniken, Produkte, Verfahren waren schon immer Treiber des Wandels: Die Erfindung des Rads, des Buchdrucks, der Dampfmaschine, des Computers sind nur einige Beispiele. Immer hatten sie große Veränderungen im Schlepptau. Wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch. Ein Treiber des aktuellen Wandels ist die KI, die künstliche Intelligenz, selbstlernende Computer, Algorithmen, die immer mehr Aufgaben übernehmen. Wie viele neue Technologien erzeugt auch die KI Ängste. Dabei liegen in ihr vor allem viele Chancen, glaubt Norman Müller, neuer Geschäftsführer von Zukunft.Coburg.Digital, des digitalen Gründerzentrums für die Region Coburg. Seit 20 Jahren entwickelt er Digitalisierungsstrategien und seit zehn Jahren KI-Projekte.
COBURGER: Welche Bedeutung hat KI für die Entwicklung der Region?
Norman Müller: Künstliche Intelligenz ist das entscheidende Zukunftsthema überhaupt. Viele Unternehmen fehlt es jedoch an KI-Kompetenzen. Sie müssen daher schnell handeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben, für manche geht es sogar ums Überleben. Um unsere Region für Startups interessanter zu gestalten und unsere regionale Wirtschaft besser zu unterstützen, wollen wir in Kooperation mit der Stadt, dem Landkreis, den Wirtschaftsförderungen sowie der Hochschule Coburg und unseren Partnern ein Innovationszentrum für Künstliche Intelligenz aufbauen. Es geht um einen Innovationsbooster für unsere Region, damit wirklich jedes Unternehmen von KI als Hochtechnologie profitieren kann. Unsere Mission hier als Zukunft.Coburg.Digital und in meiner Funktion als Team-Captain ist es daher, Startups und Unternehmen aus der Region Coburg zu vernetzen, für das Thema Künstliche Intelligenz zu begeistern und ganz konkrete KI-Projekten umzusetzen.
COBURGER: Wie soll das konkret ablaufen?
Norman Müller: In Deutschland fehlen im Gegensatz zum Beispiel zu den USA größere Investitionen für Startups, weshalb wir andere Wege finden müssen: Wir wollen innovative KI-Startups in der Region und für unsere Region gewinnen und bringen sie mit den Unternehmen aus dem Raum Coburg zusammen. So ist uns das z. B. bereits mit dem KI-Startup ARTTAC SOLUTIONS gelungen, die am Standort in Rödental seit 01.12.2023 ihr Büro hat. Die Unternehmen haben ein deutlich geringeres Risiko in der Entwicklung von Innovationen, wenn sie mit Startups zusammenarbeiten. Die Startups haben die Chance an konkreten KI-Projekten zu arbeiten, um weiter bei uns am Standort wachsen zu können. Wenn uns der Aufbau eines Innovationszentrums für Künstliche Intelligenz gelingt, stehen die Chancen sehr gut, mit dieser Spezialisierung auch in Zukunft ein hochinteressanter Wirtschaftsstandort nicht nur für die Startup-Szene, sondern natürlich auch für die Unternehmen hier vor Ort zu sein.
Als Gründerzentrum dürfen wir deshalb nicht nur den Fokus auf Startups haben, sondern müssen die Potentiale in der engen Zusammenarbeit mit den regionalen Unternehmen erkennen. Da der Wirkmechanismus von künstlicher Intelligenz heute schon (und in Zukunft noch viel mehr) disruptive Ausmaße annehmen wird, kann ich nur empfehlen diese Entwicklung aktiv mitgestalten zu wollen. Andernfalls werden wir gestaltet, dass haben wir im Verlauf der Digitalisierung schon einmal gesehen, nur wird die nächste Evolutionsstufe noch heftiger – ich nenne das Transruption.
COBURGER: Welche Chancen bietet die KI noch?
Norman Müller: Datenschutzkonforme KI-Lösungen werden in Anbetracht der immer wichtiger werdenden Cyber Security der neue Goldstandard sein. Das ist für uns in Deutschland/Europa ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal, wenn wir schnell sind und mit derartigen Lösungen die Märkte erobern. Wir wollen mit unseren Startups und den regionalen Unternehmen daran arbeiten, wie Unternehmen ihre Daten, die sie tagtäglich generieren, mit Hilfe von KI besser schützen und nutzen können, um Mehrwerte zu erwirtschaften, präzise Vorhersagen zu treffen, Prozesse effizienter zu gestalten und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Ein aktuelles regionales Beispiel über das ich gerade nachdenke kommt aus dem Getränkefachhandel. Die KI könnte vorhersagen, wie ein Gastronomiebetrieb künftig Getränke disponieren muss, um z.B. in den Sommermonaten 12% mehr Gewinn zu erzielen. Die KI errechnet dann z.B. auf Basis vorliegender Unternehmensdaten, welche Produkte bei welchem Wetter zu welchem Zeitpunkt und in Rücksicht auf gegenwärtige Produkttrends erfolgreicher verkauft werden können.
COBURGER: Eine Befürchtung ist, dass nicht die KI dem Menschen dient, sondern KI den Menschen ersetzt, teilen Sie diese Ängste?
Norman Müller: Nein, KI wird nie den Menschen ersetzen, sondern Routinearbeiten übernehmen und es werden dadurch neue Berufsfelder entstehen, wie z.B. Prompt Engineering. Aber die bestbezahlten Jobs, nehmen wir die von Programmierer: innen, sind schon heute nicht mehr zukunftsfähig. Entsprechend berate ich meine Kinder schon seit Jahren ganz anders in ihrer Berufswahl. Unsere Kinder werden ganz selbstverständlich mit KI-Assistenten arbeiten, die sie bei ihren Entscheidungen unterstützen, andere Perspektiven anbieten und ihnen Superkräfte verleihen. Sie werden die KI nicht mehr in Frage stellen, sondern sie weiterentwickeln. Unsere Aufgabe ist es heute die ethischen Fundamente zu bauen, Sicherheitssysteme und Regularien zu entwerfen, die den Entwicklungsspielraum beschreiben. Oder um bei unserem Getränkehändler zu bleiben: Die Gewinner in Zukunft sind die Pioniere von heute, die ihre Prozesse und Geschäftsmodelle weiterentwickeln.
COBURGER: Ist das ein typisches Beispiel für die Chancen von KI?
Norman Müller: Es ist ein Beispiel von vielen Möglichkeiten KI zum Einsatz zu bringen. Der erste Schritt ist die Identifizierung eines konkreten Anwendungsfalls im Unternehmen und bei Bedarf kann dann ein geeignetes Startup hinzugezogen werden, dass bei der Umsetzung unterstützt. Auf diese Weise lernen Unternehmen den Einsatz von KI kennen, schreiben erste Erfolgsgeschichten und wachsen mit den Herausforderungen über sich hinaus. Parallel muss allerdings auch ein Wissenstransfer stattfinden, d. h. Entscheidungsträger und Führungskräfte eignen sich KI-Kompetenzen an, z. B. am „Afterwork Campus“, den wir im Januar 2024 gestartet haben und an dem jede/r kostenfrei teilnehmen kann.
Auch die Hochschule Coburg ist hier ein erstklassiger Partner, der aus meiner Sicht noch nicht gut genug von Unternehmen aus der Region genutzt wird. Als Gründerzentrum sehen wir uns mit der Neuausrichtung als digitale Architekten, die Brücken bauen und Wissenschaft, Forschung, Unternehmertum und die Innovationskraft der Startups verbinden und dieses Zusammenspiel in unserer orchestrieren. Wenn wir uns in der Region als Team verstehen und gemeinsam diesen neuen Aufgaben stellen, werden wir aus meiner Sicht nicht länger darauf warten müssen bis andere Institutionen Veränderungen schaffen, sondern wir werden von innen heraus wachsen und gestärkt auch zukünftige Herausforderungen bewältigen können.
COBURGER: Wie sind die Reaktionen hier in der Region?
Norman Müller: Im letzten Quartal 2023 habe ich eine Roadshow gemacht, um die Neuausrichtung des Digitalen Gründerzentrums und den Fokus auf KI vorzustellen. Ich war beim Wirtschaftsministerium in München, der Regierung Oberfranken in Bayreuth und habe Verwaltungen, Politiker, Verbände, Kammern, die Hochschule, Unternehmer:innen und Startups besucht. Alle meine Gesprächspartner waren zumindest neugierig, viele begeistert einige kritischer aber niemand lehnte unser Engagement ab. Das hat mein Team und mich sehr motiviert. Immerhin steht und fällt das Vorhaben mit unseren Partnern, die sich aktiv einbringen. Deshalb gestatten Sie mir diesen Aufruf: Wir haben die einmalige Chance unseren Wirtschaftsstandort hier in Coburg mit KI als Hochtechnologie zu beatmen und neues Wachstum anzuregen. Sprechen Sie uns an und wir finden Wege der Zusammenarbeit und entwickeln gemeinsam zukunftsfähige Lösungen. Mein Appell richtet sich vor allem auch an die führenden Unternehmen der Region, die die so wichtigen Impulse in die richtige Richtung geben können.
Die Fragen stellte Wolfram Hegen.