Die eigenen Grenzen respektieren
Julia Schaefer (geb. Hofmann) ist eine von wenigen deutschsprachigen Frauen, die regelmäßig an internationalen Mountainbike-Meisterschaften wie der Enduro World Series teilgenommen hat. Als Profi-Mountainbikerin hat sie die halbe Welt bereist und unzählige Rennen absolviert, die sie zum Teil an ihre körperlichen und mentalen Grenzen gebracht haben. Mittlerweile ist die gebürtige Lichtenfelserin zweifache Mutter und hat ihre Prioritäten dem neuen Lebensabschnitt angepasst. Eines hat sich jedoch nicht geändert, und zwar ihre Einstellung, stets dem eigenen Herzen zu folgen und sich dabei selbst treu zu bleiben.
Es gibt sie, diese Momente, die das Leben in neue Bahnen lenken und Entscheidungen herbeiführen, die sich gut und vor allem richtig anfühlen. Derartige Schlüsselerlebnisse kennt Julia Schaefer nur zu gut – zum Beispiel, als sie mit 19 Jahren nicht nur ihre Liebe zum Radsport entdeckt, sondern auch gleich lernen will, aus Einzelteilen ein Downhill Bike zusammenzuschrauben. Denn dies führt zu regelmäßigem Kontakt mit einem Lichtenfelser Fahrradgeschäft und schließlich den ersten Fotoshootings für eine angesehene Mountainbike-Marke. Neben Events, die sie daraufhin begleitet und Reisen, die sie organisiert, folgen hochkarätige Sponsorenanfragen und die Teilnahme an unzähligen internationalen Rennen.
Apropos Rennen: Julia Schaefer nimmt in den ersten Jahren vor allem an Enduro-Wettbewerben teil. Dabei gilt es, mit eigener Kraft die Berge zu erklimmen und gezeitete Strecken, die fast ausschließlich bergab führen, so schnell wie möglich zu bewältigen. Doch wie die Fränkin verrät, habe sie im Grunde nie einen „Rennkopf“ gehabt: „Ich war tatsächlich bei jedem Rennen recht nervös und bin oft zur Seite gefahren und habe die anderen vorbeipreschen lassen.“ Dass Stürze bei dieser Disziplin keine Seltenheit sind, erfährt Julia Schaefer mehr als einmal am eigenen Körper. Und sie erlebt auch hier wieder Aha-Momente, die ihren weiteren Lebensweg prägen sollen.
„Nachdem ich mir in Schottland bei einem Wettbewerb einen Rippenbruch zugezogen habe, bin ich kurz darauf die Megavalanche in den französischen Alpen gefahren – ein Downhill-Rennen mit 20 Kilometern Strecke und einem Höhenunterschied von 2.600 Metern. Dabei habe ich mir das Handgelenk gebrochen und festgestellt, dass unter Druck Rennen fahren einfach nichts für mich ist.
Viel lieber wollte ich technische, steile Trails mit vielen Spitzkehren zum Spaß fahren und habe das ab diesem Zeitpunkt dann auch getan“, erinnert sich die Mountainbikerin. Seitdem ist sie nicht mehr schwer gestützt und hat gelernt, sich selbst richtig einzuschätzen. „Natürlich haut dich jeder Sturz immer etwas zurück, aber es ist wichtig, danach zu überlegen, woran es lag und warum es passiert ist. Manchmal stand mir schlichtweg mein eigener Ehrgeiz im Weg und ich war nicht locker genug – aber genau diese Lockerheit ist es, worauf es beim Mountainbiken ankommt.“
(K)eine reine Männersache
Ob Downhill oder Enduro, gerade zu Beginn ihrer Karriere ist die Lichtenfelserin als Frau im Mountainbikesport eher eine Seltenheit gewesen. Den Umstand, sich in einem männerdominierten Umfeld zu bewegen, kennt sie bereits: Als sie sich zur Schreinerin hat ausbilden lassen, war sie das einzige Mädchen in ihrer Berufsschulklasse und musste sich ab und an auch blöde Sprüche gefallen lassen. „Das ist vor allem dann vorgekommen, wenn ich besser als meine Mitschüler abgeschnitten habe“, erklärt sie. „Es hat mich zwar geprägt, aber davon habe ich mich ehrlich gesagt nicht aufhalten lassen, ganz im Gegenteil.“ So ist sie ihren beruflichen Weg konsequent weitergegangen, hat erfolgreich fachspezifische Weiterbildungen absolviert, die Hochschulreife für gestalterische Berufe erworben, Innenarchitektur studiert und dabei ihr Faible für Grafikdesign entdeckt, was sie seitdem beruflich weiterhin begleitet.
Als Inspirations- und Motivationsquelle dienen ihr – wie könnte es auch anders sein – die Berge. „Es gibt nichts Schöneres, als bei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang auf einem Berg zu stehen, den ich zuvor erklommen habe. Ich finde, man braucht im Leben immer Ziele und einen Fokus, um voranzukommen“, betont Julia Schaefer. So hat sie sich zum Beispiel vorgenommen, im nächsten Jahr wieder das Fitness-Level zu erreichen, das sie vor der Geburt ihrer Kinder hatte. Dann möchte sie nochmals auf den Roque de los Muchachos auf La Palma – mit 2.426 Metern der höchste Berg der Insel, der über 14 Kilometer reine Single Trail Strecke am Stück bietet. „Es motiviert mich, zu testen, was ich wieder erreichen kann und ich möchte nochmal an einem Tag mit eigener Kraft die insgesamt 3.000 hm hoch auf den Berg fahren und dann den 14 Kilometer langen Trail ohne Pause ins Tal, wie ich es vor vier Jahren schon getan habe.“
Glück im Großen und Kleinen
Ob Kanada, Mexiko, Frankreich oder Marokko – bevor Julia Schaefer Mutter wurde, war sie rund 300 Tage im Jahr unterwegs. Nicht nur Wettbewerbe, sondern auch Jobs haben die Fränkin in die schönsten Bergregionen der Erde geführt, wo sie unter anderem auch als Mountainbike-Guide aktiv war. Darüber hinaus hat sie Fahrtechnik Camps organisiert und ist dabei voll in ihrem Beruf aufgegangen, wie sie erklärt: „Ich habe als Jugendliche schon Reitunterricht gegeben und gemerkt, dass es mir Freude macht, mein Wissen zu vermitteln. Nun habe ich das Glück, mit dem Radfahren mein Hobby zum Beruf gemacht zu haben und und dabei auch meine Leidenschaft fürs Reisen voll ausleben zu können.“
Seit dreieinhalb Jahren haben sich die Prioritäten der Profi-Mountainbikerin verschoben: Statt Enduro-Rennen zu fahren und um die Welt zu reisen, baut sie nun Zäune und pflanzt Bäume auf dem Gelände eines Campingplatzes im Chiemgau, den sie zusammen mit ihrem Mann Daniel Schaefer führt. „Ich genieße das Glück gerade im Kleinen und habe einen neuen Lebensabschnitt begonnen, bei dem meine Familie ganz im Mittelpunkt steht“, berichtet Julia Schaefer und ergänzt: „Das Schöne ist, dass meine Kinder alles gerne mitmachen und ich sie deshalb auch überall mit hinnehme, sei es bei Camps oder Eröffnungen von Bikeparks. Meine Eltern habe ich dann natürlich auch im Gepäck und bin sehr dankbar für die Unterstützung.“
In Zukunft wird man Julia Schaefer weiterhin auf ihrem Mountainbike antreffen – wie intensiv, lässt sie derzeit noch offen. Auch Heimatbesuche und die damit verbundenen Ausfahrten auf den Trails am Krappenberg und im Banzer Wald stehen nach wie vor regelmäßig auf dem Programm. Auf die Frage, wie sie in einigen Jahren damit umgehen wird, wenn ihre Kinder denselben Weg wie sie einschlagen, antwortet sie mit einem Augenzwinkern: „Das würde mir schon ein bisschen schwerfallen. Aber meine Mutter hat immer gesagt, dass sie uns das Leben geschenkt hat und wir damit machen dürfen, was wir möchten. So sehe ich das auch für mich und meine Kinder – selbst wenn das heißt, dass sie mal waghalsig auf zwei Rädern steile Bergabhänge hinunterdüsen.“