Monaco Franke

Der Monaco Franke #62

Fast so heilig wie sein Bier ist dem Franken sein Stammtisch. Genau ist nicht überliefert, wann und wo es den ersten Stammtisch gab oder wer ihn ins Leben gerufen hat. Definitiv ist er aber eine deutsche Erfindung. Und die Vermutung liegt nahe, dass es in Franken gewesen sein muss, als sich erstmals ein paar Männer in einer Dorfwirtschaft an einen runden Tisch gesetzt und sich beim Seidla über die Neuigkeiten aus der Nachbarschaft ausgetauscht haben. Authentischer als im breitesten Fränkisch wird der empörte Ausruf jeder Wirtin jedenfalls nicht, wenn man sich als „Fremder“ auf einen freien Stuhl am größten und eindeutig gerade unbesetzten Tisch einer Wirtschaft setzt:

„Horng’s, Herrschaften, do kenna Sie sich fei ned hiehoggen, des is da Schdammdisch!“ Noch ehe man – die eigene Verteidigung im Sinn – mit seiner bei klarem Verstand gemachten Beobachtung argumentieren kann, dass aber doch gerade niemand an dem Tisch sitze, dass auch weit und breit niemand außer einem selbst in Sicht sei, der sich dort niederlassen wolle und noch nicht einmal ein Reservierungsschildla aufgestellt sei, erntet man von selbiger Wirtin diesen eiskalten Todesblick, wie ihn eben nur Wirtinnen auf dem Land aufsetzen können und der einen wünschen lässt, lieber gerade im Vorhof zur Hölle zu stehen, weil man’s gewagt hat, sich statt einer Halben eine Rhabarbersaftschorle zu bestellen.

Der Stammtisch. Männerwelt. Heiligtum vieler Deutscher, egal ob in Franken, Bayern oder anderswo! Wo sonst kann man im Schutze der gewohnten, Sicherheit gebenden Atmosphäre noch wirklich laut sagen, was man denkt! Wo sonst kann man sich mit markigen Sprüchen zum großen Zampano und Macker aufspielen, der man in Wahrheit gar nicht ist! Wenn das mal nicht ein starkes Stück Heimat ist! Hunderttausende in diesem Land, das sind aber auch Hunderttausende Bundeskanzler, Minister, Richter, Direktoren und Bundestrainer! Denn in erster Linie wird hier beim Bier und in gepflegter Runde über Gott und die Welt, über Politik und den Niedergang der Nationalmannschaft diskutiert, werden Meinungen ausgetauscht und anderen eben halt auch aufgedrängt – nicht selten mit eingestreuten Halbsätzen wie „und des is Fakt“ oder wahlweise „und des is die Woahrheit“, um ja keinen Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Meinung zu lassen.

Am Stammtisch werde eben noch „Klartext“ geredet, heißt es gerne. Weil die angebliche „Woahrheit“ halt häufig aber doch nur eine subjektive Wahrnehmung und die Meinung eines Einzelnen ist, hat der Ruf der Stammtische über die Jahre arg gelitten. Die typischen, häufig sehr einfachen und vorurteilsbeladenen Denkmuster, die sich in entsprechenden aggressiven, selbstgerechten und populistischen Sprüchen entladen, werden deshalb „Stammtischparolen“ genannt.

Nicht selten geht es dabei gegen Minderheiten („die Flüchtlinge woll’n doch bloß kassieren“), ungeliebte politisch Andersdenkende („wos willst’n erwadden, wennst an Kinderbuchaudor zum Wirtschaftsminister machst“), Politiker allgemein („die haltn eh ned, was sie versprechen“) und – ja – auch gegen demokratische Grundwerte. Wer Wasser predigt, aber Wein trinkt, hat bei Stammtischbrüdern (und neuerdings auch immer mehr Schwestern!) keinen guten Stand.

Genauso wenig „junge Paschas“, „Sozialschmarotzer“ oder „arbeitsscheue Faulenzer“. Allerdings kann man das auch nicht verallgemeinern. Nicht jeder Stammtisch ist per se politisch. Es gibt unter den Stammtischlern auch Schafkopfer und Skatklopfer, Blumen- und Briefmarkenfreunde, Münzsammler und Hobby-Philosophen und zuallervorderst natürlich notorische Sprüchbeudl und Dampfplauderer, die sich selbst gerne reden hören (die ganz besonders!). Sie treffen sich zum Gedankenaustausch, schließlich – und da sind sich dann alle wieder einig – is des greislichste Wirtshaus allweil schönner als die schönste Ärbad (womit der Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ nochmal eine ganz andere Bedeutung bekommt!).

Mancherorts trifft man sich auch zur lockeren „Eierlikörrunde“ unter Freunden – letztlich nur eine alternative Bezeichnung für einen Stammtisch. Da isses dann erstmal wurschd, wer sich in welcher Partei engagiert oder zu welcher politischen Richtung neigt. Die Meinungen werden mit mehr oder weniger deutlichen Worten ausgetauscht, nur selten schafft’s mal einer, man‘s, den Anderen“ zu überzeugen. Und wer alberne Verschwörungstheorien schwurbelt, der muss sich nicht wundern, wenn er mal gscheid z’sammgfalded wird, gell! Spätestens nach einem Satz wie „Ja kann denn aaner allaa so bleed saa“ sind die Fronten geklärt.

Danach lenkt man das Gespräch wieder auf nicht ganz so brisante Themen. Dann spricht man eben darüber, warum Deutschland in pinken Trikots nie und nimmer Europameister wird, warum’s der FC Coburg nie schaffen wird, wieder einmal höherklassig zu spielen (und der FC Lichtenfels schon mal gleich gar ned) und was die Toilettendiskussion im Stadtpark soll. Und schon kann man – Prost-tataa – endlich wieder die Gläser erheben. Friede. Freude. Frankenbier!

Scho schee! Angefangen hat das alles aber mal ganz anders. Das Wesen der Stammtische hat sich über die Jahrzehnte deutlich gewandelt. Heute treffen sich auch Geschäftsleute zu Meetups und immer mehr Frauen zum geselligen Beisammensein. Manchmal sitzt sogar des Dorfdeppala mit am Tisch. Früher undenkbar!

Historisch gesehen war der Stammtisch vor allem in ländlichen Regionen und kleinen Gemeinden zunächst ein Treffen der örtlichen Honoratioren. So setzte sich ein Dorfstammtisch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem aus den „Studierten“ zusammen, also dem Bürgermeister, dem Arzt, dem Apotheker, dem Lehrer oder wohlhabenden Bauern, die sich über lokale Ereignisse und Probleme austauschten. Erst später löste sich das dann auf, und jeder durfte mitreden, der sich dazugesellen durfte.

Das freilich war noch nie ganz einfach! „Ortsfremde“ durften und dürfen nur in Ausnahmefällen am Stammtisch Platz nehmen und wenn, dann nur auf ausdrückliche Einladung eines Eingeborenen. Wem diese Wertschätzung widerfährt, der kann sich „von und zu“ schreiben! Wem nicht, der hält – siehe oben – am besten Abstand, selbst wenn gerade gar keiner da sitzt! Einen Stammtischplatz muss man sich verdienen. Wie genau, das muss am Ende jeder für sich selbst herausfinden. Erst wenn man dazugehört, wird – Prostdadaa – angestoßen – egal ob nun mit Bier, Eierlikör oder, wenn auch nur unter Protest, mit einer Rhabarbersaftschorle.

Schätzla, schau wie iech schau!

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