Hier wohnt … #3

… die Kunst in einem Haus voller Erinnerungen

Komm rein. Menschen aus der Region lassen uns eintreten in ihr Zuhause. Sie zeigen uns, wie sie wohnen und leben. Dieses Mal öffnet uns das Künstlerehepaar Anne und Klaus Thoms in Burgkunstadt die Tür zu seinem italienischen Bungalow.

Unscheinbar. Das denkt der Betrachter. Auf den ersten Blick hebt sich das flache Haus am Ende der Straße nicht sonderlich von der Nachbarschaft ab. Im Gegenteil – seine Fassade ist eher zurückgenommen. Nur die steile Einfahrt und die große Eingangstür lenken die Aufmerksamkeit auf sich.

Herzlich ist der Empfang. Auch wenn er die meiste Zeit seines Lebens im Süden Deutschlands verbracht hat, hört man Klaus seine norddeutsche Herkunft mit der ersten Silbe an. Er ruft nach Ann, wie er seine Frau nennt, und schon erscheint sie hinter ihm mit kurzem grauen Haar und einem roten Schal um den Hals.

Paradies: Seit über 30 Jahren ist das Künstlerehepaar hier zu Hause – aus einer Wildnis haben sie ein Gartenparadies geschaffen.

Mit der Tür öffnet sich eine ganze Welt. Von wegen unscheinbar. Auf über 160 Jahre gelebtes Leben bringen es Ann und Klaus gemeinsam. Von diesem Leben erzählt das Haus mit all seinen Schätzen. Jeder Gegenstand hier hat seine Geschichte. Doch die Geschichten müssen warten. Zu verlockend ist die Kulisse hinter den großen Panoramafenstern auf der Rückseite des Hauses: Eine großzügige Steinterrasse geht über in einen blühenden Garten, der gefühlt bis zum Kordigast am Horizont reicht und sich im Himmel verliert. Die Lage hoch oben auf einem einstigen Weinberg beschenkt die Thoms mit einem Rundumblick ins Maintal.

„Als wir das Haus gekauft haben, war hier alles verwildert“, erzählt Klaus. Über die Jahre haben sie sich ein kleines Paradies geschaffen mit Kräutergarten, Hochbeeten und einem Gartenteich, in dem Molche und Ringelnattern zuhause sind. Auch im Garten scheint nichts zufällig. Alles hat eine Bedeutung und verrät viel über den kreativen Geist seiner beiden Besitzer. „Hier, die Brücke“, meint Klaus, „das war einmal eine große Steinplatte von einem Terrassentisch“.

Erst der Blick vom Garten auf das Haus offenbart seine Besonderheit. Ein Bauunternehmer aus Weidnitz hat das bungalowgleiche Haus 1971 gebaut und sich vom italienischen Stil inspirieren lassen. Davon zeugt vor allem die markante Säulenpergola, die die Terrasse einrahmt. Blauregen rankt sich an ihr empor und wartet nach dem Winter darauf, endlich wieder zu blühen.

Der Blick über das Maintal bis hinüber zum Kordigast war einer von drei Gründen für den Hauskauf 1993.

Tee und Geschichten

Seit inzwischen über 30 Jahren sind die Thoms hier zuhause. Zuvor haben sie auf einem Einödhof im oberbayerischen Schrobenhausen gelebt, der zugleich Zentrum ihres künstlerischen Schaffens war. Anne Thoms ist Textilkünstlerin. Klaus Thoms ist Töpfermeister. Doch das ist eine andere Geschichte und verlangt nach einem Tee. Den serviert Ann ganz in norddeutscher Manier mit Köm, einem in Aquavit eingelegten Kandiszucker. Dann beginnen die beiden zu erzählen. Klaus von seiner Kindheit in Schleswig-Holstein, seiner Töpferlehre, der Zeit bei der Bundeswehr und seiner Anstellung als Sicherheitsexperte in der Deutschen Luft- und Raumfahrt. Ann von ihrer Kindheit in Neuses an den Eichen als Tochter eines Malers, ihrer Ausbildung zur Fachlehrerin für textiles Gestalten und ihrer Selbstständigkeit als Künstlerin.

Neue Nutzung: Was einst als Schwimmbad geplant war, ist heute Bibliothek und kreativer Schaffensort.

Im Alter zog es Ann zurück in die alte Heimat. So begannen die beiden sich nach Häusern in der Region umzuschauen. Noch gut erinnert sich Klaus an einen heißen Tag im Sommer 1993. „Wir waren im Landkreis unterwegs und haben für ein Eis Halt in Lichtenfels gemacht.“ Im Schaufenster der Bank haben sie den Immobilienaushang gesehen und umgehend einen Besichtigungstermin vereinbart. „Ich hatte drei Wünsche an ein Haus“, gesteht Ann: „Eine Aussicht, einen Blauregen, auf den ich in Oberbayern verzichten musste, weil es dafür zu kalt war und einen Kirschbaum, weil ich Kirschen so gerne esse.“ Das Haus in Burgkunstadt hat ihr diese drei Wünsche erfüllt.

Kunst: Die Kunst lässt sich leicht zuordnen. Alles aus Ton stammt von Klaus. Textil und Porzellan gehört zu Ann.

Noch im selben Jahr sind sie eingezogen und haben das Haus zu ihrem gemacht. Sie haben umgebaut: es entstanden Türen, wo keine waren und Wände, wo sie gebraucht wurden. Klaus ist Sohn eines Architekten und bringt das Gespür mit für gut geplante Wohnräume. Doch nicht der Grundriss des Hauses verleiht ihm seinen Charakter, sondern die Kunst, die es füllt: Arbeiten aus Ton von Klaus. Werke aus Textil und Porzellan von Ann.

Anders als Ann, die seit 1980 von ihrer Kunst lebte, töpferte Klaus nach seiner Ausbildung zum Vergnügen. Auf die Frage, ob sie wissen, wie viele Kunstwerke über die Jahre entstanden sind, wissen sie keine Antwort – zu groß war und ist ihrer beider Schaffenskraft. Was Klaus aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass sie gegenseitig ihre stärksten Kritiker sind. Wie man sich als Künstlerpaar in der Ehe konstruktiv und diplomatisch kritisiert? „Wir sind brutal“, bringt es Klaus auf den Punkt – und klingt dabei gleichermaßen ernst wie liebevoll.

Vom Ton zum Text: Wo einst sein Brennofen stand, steht heute sein Schreibtisch.

„Wer mit Kunst lebt, der lebt bewusster.“

Zwischen ihren eigenen Werken hat Kunst aus aller Welt ihren Platz gefunden. Allein 250 Gemälde hängen an den Wänden – keine Wand ohne. Ob sie ein Lieblingsbild haben? „Nein, deswegen hängen sie ja alle da“, antwortet Klaus ohne nachzudenken. Die beiden sind mit der Kunst umgeben, von einem Wert, der sich nicht in Geld bemisst. Es ist ihr Leben, ihre Erinnerung, erzählt in Farbe und Form. Klaus ist überzeugt: „Wer mit Kunst lebt, der lebt bewusster.“

Erstlingswerk: Zu Schulzeiten in Neuses an den Eichen ist Anns allererste Webarbeit entstanden.

Viele Kunstwerke haben sie mitgebracht von ihren Reisen. Beide eint die Leidenschaft für fremde Kulturen und eine große Neugierde, mit der sie Menschen begegnen. Die beiden erzählen. Der Tee fließt. Gerne überlässt Ann ihrem Mann das Wort: „Erzähl du mal Klaus“, bittet sie ihn und genießt es, zuzuhören. Klaus erinnert sich, dass ihn schon als Kind das Fernweh gepackt hat. Aufgewachsen an der Elbe, verfolgte er stundenlang die Schiffe, die Strom aufwärts nach Hamburg oder stromab der Nordsee entgegenstrebten und fragte sich woher sie kommen oder wohin sie unterwegs waren.

Wohn- und Arbeitsort: Viele Jahrzehnte war der Webstuhl Anns Arbeitsplatz.

Seine erste große Reise führte ihn, da war er 20 Jahre alt, nach Dänemark und Schweden – mit dem Fahrrad. Als er wenige Jahre später Ann kennenlernte – auf einem Tanzfest im Itzgrund, als er einen Bundeswehrkameraden besuchte – fand er sein „ebenfalls vom Reisevirus behaftetes Mädchen“.

Anns Arbeitsplatz: Vor allem im Winter bemalt sie Porzellan.

Auf ihren Reisen waren sie stets jenseits ausgetretener Touristenpfade unterwegs – entlang der Seidenstraße, in Afrika und Lateinamerika. „Wir suchen das Urige“, erklärt Klaus. Und sie suchen das Gespräch. Oft hatten sie ihre Kunst im Gepäck. Im Austausch mit anderen Kunstschaffenden waren sie dann mit einem Mal keine Touristen mehr, sondern „Kollegen“. Und so kann man sich im Haus der Thoms auf Weltreise begeben. Wand für Wand. Viele Kunstwerke. Noch mehr Geschichten – eine Kanne Tee reicht nicht für sie.

Ein Ort für kulturelle Begegnungen: Menschen aller Nationen waren schon zu Gast – daran erinnern selbst chinesischen Schriftzeichen.

Oft setzt Klaus an zu erzählen und unterbricht sich dann: „Ach, das wird zu viel“, winkt er ab. Genauso gerne wie sie in der Welt unterwegs sind, holen sich die beiden die Welt nach Hause – und das nicht nur für die Wände. Besuch aus unzähligen Ländern war schon zu Gast. Oftmals Künstler aus Partnerstädten von Lichtenfels. Platz genommen wird draußen auf der Terrasse oder drinnen im sogenannten „Schotteneck“ – eine Sitznische, in der schon viele Male Besuch aus Schottland gesessen hat, daher der Name. Verewigt hat sich ein jeder Gast in einem dicken Buch. Klaus schlägt es auf und landet bei einem Eintrag in chinesischen Schriftzeichen. Ob er das lesen könne? „Sicher“, sagt er und blättert um zur Übersetzung.

Ein Leben in Bewegung

Dankbar – so wirken Klaus und Ann wenn sie von ihrem Leben erzählen – einem bewegten Leben. Sie haben viel gesehen von der Welt, über 60 Länder bereist – und nebenbei Gutes getan. Ehrenamtlich hat Klaus mehr als 35.000 Brillen für Menschen in Entwicklungsländern gesammelt. Inzwischen ist der Radius ihrer Reisen kleiner geworden – beschränkt sich auf Europa und Deutschland.

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