Im Kampfgebiet kann es jeden Tag vorbei sein
Journalist Till Mayer berichtet aus der Ukraine
Till Mayer ist Journalist – und er reist in die Krisengebiete auf der ganzen Welt. Er hat inzwischen aus 30 Krisen- und Kriegsgebieten berichtet. „In keinem Konflikt, den ich bisher erlebt habe, war für mich so klar, welches die gute Seite und welches die schlechte Seite ist“, sagt Mayer. Er sitzt in einem Hotel in Kyjiw und hat den Tag über gearbeitet. Es ist seine Woche als Lokaljournalist für das Obermain-Tagblatt. Er wählt sich in einem ukrainischen Café ins WLAN ein und beschäftigt sich mit Michelau, Redwitz oder Lichtenfels. „Das Internet ist hier um Jahre besser als in Deutschland. Die Busfahrt zurück würde zwei Tage dauern – zwei Tage, die mir dann an anderer Stelle fehlen“, sagt Mayer. In der Ukraine arbeitet er eine Woche als Korrespondent, die andere Remote für das Obermain Tagblatt. Bleibt er in der Ukraine, kann er das Wochenende noch für Reportagen nutzen.
„Wir sind zu bräsig geworden. Der lange Atem fehlt uns.“ Till Mayer
Die andere Stelle, das ist die Ostfront, der Donbas. Hier rücken die russischen Truppen vor und erobern Stück für Stück die Ukraine. „Erobern“ klingt viel zu gut für das, was Mayer erlebt. „Sie radieren dort Stadt für Stadt, Dorf für Dorf aus. Da steht nicht mehr viel. Die russische Armee mordet, plündert, vergewaltigt“, erzählt der Journalist. Till Mayer kennt die Ukraine seit 2007. Seit 2017 berichtet er über den Krieg im Donbas. „Der Krieg war nie eingefroren“, sagt er. Ihm war klar, dass irgendwann die Invasion startet. Er sieht, wie sich Russland auf den Krieg einstellt: „Die gesamte russische Wirtschaft wird umgebaut und rüstet sich für einen langen, großen Krieg.“
In Schweden, Polen, Finnland und den baltischen Staaten setzten sich die Gesellschaften damit auseinander, in welche aggressive und faschistische Diktatur sich Russland verwandelt hat. In Deutschland hingegen beginne das Verdrängen. Putin habe imperiale Pläne. „Unsere Gesellschaft setzt sich damit nicht auseinander. Doch das sind die Tatsachen.“ Mayer erlebt sie hautnah. „Heute Nacht gab es viele Angriffe auf Kyjiw. Raketen und Drohnen, die Luftabwehr konnte fast alle abfangen. Dennoch nimmt der Schaden der Energie-Infrastruktur durch fast tägliche Luftangriffe zu“, erzählt er aus dem Homeoffice. Seine Überlegung: Wenn etwas gut geschützt wird, dann die Hauptstadt. Daher fühlt er sich sicher. So sicher, wie es eben geht.
Im Kampfgebiet kann es schnell vorbei sein. Die Kamikaze-Drohnen sind inzwischen bis zu 100 km/h schnell. Auf die Städte starten die russischen Streitkräfte Shahed-Drohnen, Raketen und Gleitbomben. Es wird immer schwerer, sich dagegen zu verteidigen“, sagt er. Vergangene Woche war er an der Bachmut-Front. Dort krache die Artillerie mit wenigen Pausen. Wegen der Gefährdung durch Kamikaze-Drohnen und zunehmenden Artilleriebeschuss ist es für Till Mayer oft schwer ins Kampfgebiet zu gelangen. Mayer erinnert sich noch gut an seinen Besuch im damals umkämpften Bachmut im Januar 2023. „Das war für mich das Äußerste. Ich bin mit einer Einheit von 20 Leuten hin gefahren. Drei haben wir verloren.“
Er möchte aufzeigen, aufrütteln. „Die Demokraten in Westeuropa sind zu leise“, sagt er. Putins Pläne gingen bislang auf. „Der Angriff auf unsere Demokratien läuft schon lange in den sozialen Medien“, so Mayer. „Wir sind zu bräsig geworden. Der lange Atem fehlt uns. Wir müssen zur Ukraine stehen, so lange der Krieg eben dauert.“
Mensch bleibt Mensch. Das hat er in den vielen Krisengebieten verinnerlicht. Doch was, wenn Invasoren kommen, um andere zu vernichten? „Dann bleibt nur die Notwehr. Krieg bedeutet töten. Für die Verteidiger ist klar, sie müssen die Aufhalten, die morden, foltern und zerstören“, so klar ist das für Mayer. Gerade wird sein Buch „Europas Front“ über den Ukraine-Krieg übersetzt. Es soll demnächst auf ukrainisch erscheinen. „Das ist für mich etwas Besonderes, dass sich die Ukrainer aus meiner deutschen Perspektive, ihren eigenen Krieg erzählen lassen.“
Till Mayer hat schon öfters darüber nachgedacht, seinen Job als Kriegsreporter aufzugeben. Dann kam die Ukraine. Und er möchte bleiben und berichten, solange der Krieg eben dauert. Das sei er den Menschen und dem Land schuldig. „Doch dann wird Schluss sein.“
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