Hier wohnen: Touristen im eigenen Haus

Samstagabend, 23:19 Uhr. WhatsApp-Nachricht von Jörg: „Gerade angekommen“, dazu ein Bild von einem Kaminfeuer und brennender Kerze. Ich habe das Haus noch nicht einmal betreten und möchte schon einziehen. Die Gemütlichkeit und Wärme sind einladend. Ein paar Tage später. Von der Straßenseite übersieht man das Haus mit seinem Flachdach leicht. Geduckt schmiegt es sich in eine kleine Kuhle, so dass die Eingangstür tiefer als die Straße gelegen ist. Die Herbstsonne wärmt die Holzfassade aus Lärche. Nur ein kleines schmales Fenster grüßt gen Bürgersteig. Blickfang ist ein Baum, eingerahmt von einem Lichthof, der das Haus mit dem Carport verbindet. Alles offen, alles luftig so dass der Garten dahinter Bewohner und Gäste freudig erwartet. Ein Auto mit Berliner Kennzeichen parkt vor der Kulisse.

Mit ihren zwei Kindern sind Jörg und Melanie aus der Hauptstadt angereist. Es sind Schulferien. Zwei Wochen verbringen sie hier in ihrem Haus in Reundorf – „ihr Ferien-Zuhause“, wie sie es nennen. Gebürtig sind sie von hier: Melanies Elternhaus steht nebenan. Jörg stammt aus Lichtenfels. Beide haben sie sich als Teenager kennengelernt und sind später gemeinsam zum Studieren nach Bamberg gezogen. „Uns ist die Decke auf den Kopf gefallen. Wir wollten weg von hier als wir jung waren“, gesteht Jörg. Auf Bamberg folgte Berlin, wo Melanie ein Jobangebot bekam. Das war vor 17 Jahren. Jobs, Schule, Freunde – die Familie ist in Berlin längst angekommen und verwurzelt. Es ist ihr „Alltags-Zuhause“ und sie können sich auch nicht vorstellen, ihr Leben in der Stadt aufzugeben und ganz zurück nach Reundorf zu kommen. Zumindest nicht in absehbarer Zeit.

Erster Blick ins Haus: Hohe Decken und viel Holz.

Fränkische Seele

Trotzdem verspürten sie so etwas wie Heimweh. „Die fränkische Seele wohnt in einem“, beschreibt Melanie das Gefühl. „Den Franken bekommst du nie ganz raus.“ Das merkt sie immer dann besonders deutlich, wenn sie in Berlin auf einen Franken trifft: „Du kannst den Dialekt noch so gut verstecken, den Franken hörst du raus.“ Es ist nicht nur die Sprache, die das Band zur Heimat strickt, sondern auch eine Sehnsucht und Liebe. Vor allem für Natur und Kulinarik. Wie so oft im Leben gehen Vermissen und Wertschätzen Hand in Hand: Man würdigt die Dinge dann, wenn sie abwesend sind. Fränkisches Essen, fränkisches Bier – Jörg kommt ins Schwärmen.

Suchbild im Sommer: Haus und Garten verschmelzen.

Niemals würden sie den Reundorfer Biertag verpassen. Und kaum angekommen, geht es immer auch nach Uetzing zum Brotkaufen und zum Metzger nach Mistelfeld. Jörg muss lachen, darüber wie schnell er hier den gesundheitsbewussten Städter vergisst. Schulterzuckend werden 300 Gramm Aufschnitt zu viel hingenommen: „Des basst scho“. Mit „zu viel Fleisch und zu viel Bier“, betitelt er amüsiert ihre Aufenthalte
in der fränkischen Heimat. Auf den Geschmack gekommen sind auch ihre Berliner Freunde. Viele kommen zu Besuch. Wer nicht kommt, schickt eine Einkaufsliste.

Genauso wie das Essen und Trinken, schätzt die Familie das Dorfleben und die Gegend im Obermain-Jura. Anders als in der Großstadt müssen sie nur zur Haustüre raus und sind Draußen. „Wenn wir hier sind, sind wir viel unterwegs“, schwärmen die beiden vom Motorradfahren, von Ausflügen und Wanderungen. „Wir machen Sachen, die wir früher nie gemacht haben.“ Eben weil sie nicht dauerhaft hier leben, sondern ihre Freizeit hier verbringen, haben sie den Blick von Außen. Sie sind so etwas wie Touristen in der Heimat – unternehmungslustig, und neugierig. Dabei stellen sie immer wieder fest: „Schön ist es hier!“ Und dann ist da noch das Allerwichtigste: die Familie. Ihre Eltern leben hier und sie sollen ihre Enkel aufwachsen sehen, sie sollen teilhaben.

Ihren Kindern wollten sie all das nicht vorenthalten, sie nicht nur in der Stadt großziehen. „Wir möchten, dass die beiden auch den fränkischen Anteil ihrer Existenz spüren,“ sagt Melanie. Und so haben sie sich für ein zweites Zuhause in der alten Heimat entschieden. Ihr Haus steht nun auf dem Grundstück, das schon immer Melanies Familie gehört. „Meine Uroma hat hier einmal Schafe gehalten“, erinnert sie sich. Ihre Eltern haben später einen Garten angelegt und Bäume gepflanzt. Da ist die Mooreiche, die Melanies Vater aus einer Eichel gezogen hat und die heute das Hausdach überragt. Da ist der Mammutbaum – ein Geschenk zum 50. Geburtstag des Vaters. Da ist die Mirabelle: „Das war als Kind mein Lieblingsbaum“, erzählt Melanie. Es ist der Baum, der heute den Ehrenplatz im Lichthof vor dem Eingang hat, darunter lädt eine Sitzbank zum Verweilen ein. Noch viele andere Baumkronen zählt der Garten. Tief verwurzelt, erzählen sie Familiengeschichten: von Geburtstagen, Hochzeiten, Geburten. Jeder Baum ist besonders und hat seinen festen Platz.

Luft und Licht

„Die Bäume müssen stehen bleiben“, war somit die maßgebliche Vorgabe von Melanie und Jörg für den Hausbau. Ihre zweite Vorgabe lautete: „Wir wollen im Garten wohnen“, die dritte: „Wir brauchen Raumhöhe.“ „Wir wollten Luft und Licht“, fasst Jörg zusammen. Mit diesen Wünschen und einem Grundstück mit Gefälle ging es zum Architekten. „Das geht nicht“, war seine Reaktion. Jörg erinnert sich noch gut daran. „Er wollte uns die Idee sofort ausreden, anstatt nach Lösungen zu suchen.“ Doch Melanie und Jörg lassen sich von ihrem Plan von einem ebenerdigen Haus in ihrem Garten nicht abbringen. Sie wechselten zu einem anderen Architekten.

Die Mirabelle, Melanies Lieblingsbaum, hat einen Logenplatz bekommen, eingerahmt von einem Lichthof.

Der andere war André Rösch. Er suchte nicht nach Gründen, weshalb es nicht klappen würde. Er überlegte, wie es funktionieren kann. „Als Architekt beginnst du meist mit einem weißen Blatt Papier“, erzählt er. „Hier war es nicht so. Auf dem Papier gab es zwei Straßen, oberhalb und unterhalb, und dazwischen einen Garten mit Bäumen. Da überlegt man gleich, wie sich das technisch umsetzen lässt.“ Seine Idee – und das klingt bei all den gegeben Schwierigkeiten fast ein wenig ironisch: „Wir machen es so einfach wie möglich.“ Er entschied sich für eine Bodenplatte als Fundament und holte auch eine Innenarchitektin mit ins Team. Gemeinsam realisierten sie das minimalistische Haus.

2022 schließlich war Spatenstich. Melanie und Jörg hatten größtes Vertrauen in Andrés Pläne für das Haus. „Seine Ideen haben uns auf Anhieb gefallen, wir haben daran so gut wie nichts verändert“, berichtet Jörg. Nur sicherheitshalber binden sie bunte Bänder um die Bäume, als Hinweis für den Bautrupp: „Bitte stehen lassen.“

Mit dem flachen Dach, einem kleinen Fenster zur Straßenseite und der Holzfassade sieht ihr Haus anders aus als die Häuser in der Nachbarschaft. „Wir waren auf jeden Fall Ortsgespräch“, meint Jörg belustigt. Nicht nur einmal wurden sie gefragt, was sie denn da für eine große Garage bauen würden. Sie haben es niemandem böse genommen. Melanie erzählt: „Wir haben dann einfach gesagt: Na, komm doch mal rumund guck.“

Stilvolle Hängelampen und bunte Farbkleckse. Am blauen Esstisch ist immer was los, denn Freunde und Familie kommen gerne zu Besuch.

Rumkommen heißt in den Garten kommen. Selbst jetzt im Herbst, wo Blumen und Sträucher verblüht und nur wenige Blätter an den Bäumen verblieben sind, kommt man nicht umhin zu staunen. In bodentiefen Fensterfronten spiegelt sich den Garten, davor umfasst die Holzterrasse einen Kastanienbaum. Der Garten wird zum Haus, das Haus zum Garten. Alles fließt, alles verschmilzt.

Einfach ehrlich

„Aufwachen und in den Garten treten“, so hat es sich Melanie gewünscht. Tatsächlich sind es vom Bett nur wenige Schritte und sie steht auf dem Rasen. Sehr viel mehr gibt es zum Schlafzimmer auch nicht zu sagen. Bett, Fenster, Kamin. Schlicht aber deswegen nicht kalt oder unpersönlich. Im Gegenteil. Melanie und Jörg ist es gemeinsam mit den Architekten gelungen, einzigartige Akzente zu setzen. Der Kamin zum Beispiel. Er ist das Herzstück im Haus und sehr besonders: Es ist ein Durchsichtkamin, verbaut in die Wand zwischenSchlafzimmer und Wohnbereich. Auch heute flackert ein Feuer. „Bei uns ist es immer warm. Wir mögen das sehr“, sagt Jörg und erzählt vom Familienritual: „Wenn wir aus Berlin hierher ins Haus fahren, kommen wir meist gegen elf Uhr abends an.

„Im Garten wohnen“, das war der Wunsch von Melanie und Jörg. Durch die großen Schiebefenster im Wohnbereich holen sie das Draußen nach Drinnen.

Das Erste, was wir machen, ist ein Feuer. Dann sitzen wir auf dem Sofa vor dem Kamin und kommen an.“ Das Haus macht einem das Ankommen leicht. Auch als Besucher fühlt man sich auf Anhieb wohl. Tritt man durch die Eingangstüre, empfangen Wände und hohe Decken aus Fichtenholz. Streicht man mit der Hand über das Holz, ist man überrascht, wie weich und angenehm es sich anfühlt. Als Bodenbelag dient Sichtestrich. „Wir haben uns bewusst für rohe Wände und einen rohen Boden entschieden“, führt Andrè Rösch aus. „Das wirkt einfach ehrlich.“ Hängen bleibt das Auge unweigerlich auf den riesigen Schiebefenstern zum Garten. Man fragt sich, wo das Drinnen endet und das Draußen beginnt. Bei alledem braucht das Haus keinen Schnickschnack, keine Dekoration. Ausgewählte Dinge wie kunstvolle Hängelampen und Farbkleckse wie die gelbe Küchenwand oder der lange blaue Esstisch machen so umso mehr Freude.

Damit der Fokus auf dem Wesentlichen bleibt, haben die Bauherren bei der Innenausstattung mit einem Bauschreiner aus der Region zusammengearbeitet. Er hat für sie Einbaumöbel aus dem gleichen Holz angefertigt. Das macht nicht nur ein harmonisches Bild, sondern auch der Platz wird so optimal genutzt.