Röntgenbild

Ärztepfusch #19

Das falsche Bein amputiert, einen Schlaganfall übersehen – wenn Ärzte einen Fehler machen, kann der für den Patienten zum Horror werden. Aus Gesunden werden Kranke, Behinderte, Tote. Und jährlich melden sich mehr Menschen bei den Krankenkassen mit dem Verdacht: „Ich bin falsch behandelt worden.“

Beispiele gibt es viele, so wie das einer 49-jährigen Krankenschwester, die seit 2008 nach einer Rücken-OP ab dem dritten Halswirbel abwärts gelähmt ist. Oder das einer heute 29-jährigen PR-Fachfrau aus Nürnberg, die nach einer 15-stündigen Kopfoperation als schwerbehindert gilt: Nervenschäden durch falsche Lagerung, Schmerzen in den Beinen, Geruchssinn verloren. Dabei war die Operation sogar noch erfolglos: Der Tumor im Kopf war nach dem Marathoneingriff immer noch fast so groß wie vorher.

Doch auch wenn sich bei den Krankenkassen immer mehr Betroffene melden: Auf einen tatsächlichen Anstieg der Zahl von Behandlungsfehlern lässt sich dadurch noch nicht schließen. Auch über die Behandlungsqualität sagen die Zahlen nichts aus. Sie steigen schlichtweg, weil Patienten sensibler, mutiger, kritischer geworden sind. Sie sagen, wenn ihnen etwas nicht passt. Den Halbgott in Weiß himmelt keiner mehr an.

ÄRZTE SIND HANDWERKER

Ärztepfusch, das hören Mediziner nicht gerne. Sie bezeichnen ärztliche Behandlungs- lieber als Kunstfehler. Zumindest der Bundesgerichtshof aber sieht das anders: Ein Arzt ist eher ein Handwerker, aber sicher kein Künstler, urteilten die Richter. Das erwarten auch Patienten: Sie brauchen keinen Künstler, der seine Kreativität am Patienten auslebt. Wohl aber einen Fachmann, der sein Handwerk versteht. Doch das ist viel zu oft nicht der Fall. Jährlich werden nach Schätzung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit etwa 600.000 Patienten Opfer eines Behandlungsfehlers. Andere Schätzungen liegen noch höher.

ÄRZTE SIND MENSCHEN

Jeder Mensch macht Fehler. Jeder muss dafür die Verantwortung übernehmen. Auch Ärzte. Im Falle von Behandlungsfehlern sind Mediziner in der Regel ja auch versichert. Manchmal aber würde es sogar schon helfen, sich aufrichtig bei dem Patienten zu entschuldigen, ihn als vollwertigen Menschen zu behandeln. Und eben nicht als missglücktes Werk. Wie bei so manchem Fall.

ÄRZTE IN DER PFLICHT

Liegt ein Behandlungsfehler vor, beginnt der Kampf mit der Justiz. Grundsätzlich müssen Patienten bei einem Verdacht nicht nur ihrem Arzt den Fehler nachweisen und den Schaden belegen, sondern sie müssen vor allem auch beweisen, dass der Arztfehler tatsächlich die Ursache für ihren Schaden ist. Das gilt im Falle eines sogenannten leichten Behandlungsfehlers. Nur wenn ein grober Fehler vorliegt und dieser eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit herbeiführt, gilt eine umgekehrte Beweislage. Dann muss der Arzt belegen, dass der Schaden auch ohne seinen Fehler entstanden wäre. Dieser Nachweis ist für den Arzt äußerst schwierig oder überhaupt nicht zu führen, so dass bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers in den allermeisten Fällen der behandelnde Arzt bzw. das Krankenhaus zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz verurteilt wird. Der Behandlungs-fehler muss nämlich nur grundsätzlich geeignet sein, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit herbeizuführen – eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Schadenseintritt wird nicht verlangt.

PATIENTEN BEKOMMEN HILFE

Ein wichtiger Ansprechpartner bei einem Verdacht eines Behandlungsfehles ist die eigene Krankenkasse. Eine weitere Möglichkeit ist die unabhängige Patientenberatung. Hier kann sich jeder Bürger kostenlos und anonym am kostenfreien Beratungstelefon oder online von unabhängigen Fachleuten beraten lassen, insbesondere von Medizinern sowie Juristen. Ist der Behandlungsfehler im Krankenhaus entstanden, kann man sich zudem an die Klinikleitung oder die Patientenbeschwerdestelle des Klinikums wenden. Nach dem Patientenrechtegesetz sind Krankenhäuser bundesweit zur Einrichtung eines patientenorientierten Beschwerdemanagements verpflichtet. Die Aufsicht über die Ärzte üben die jeweils zuständigen Landesärzte- und die Landeszahnärztekammern aus. Diese unterliegen wiederum der Rechtsaufsicht durch das zuständige Landesministerium. Schadenersatzansprüche können Patienten gerichtlich oder außergerichtlich geltend machen. Die Ärzte- und Zahnärztekammern haben Gutachter- und Schlichtungsstellen eingerichtet, um Meinungsverschiedenheiten zwischen Arzt und Patient außergerichtlich zu klären.

GELD HEILT KEINE WUNDEN

Gerichtliche Auseinandersetzungen nehmen viel Zeit in Anspruch. Bei der 49-jährigen Krankenschwester dauerte es acht Jahre bis ein Urteil gefällt war. Aufgrund des medizinischen Sachverständigengutachtens stand fest, dass in dem Krankenhaus unvollständige Befunde erhoben worden seien, wie aus Zeitungsmeldungen hervorgeht. Eine MRTUntersuchung? Fehlanzeige. Eine OP? Hätte nicht sein müssen. Alternativen wurden nicht abgeklärt. Dazu kamen „Schlampereien“ bei der OP selbst. Das Gericht verurteilte die Klinik zu einer Zahlung von 400 000 Euro. Geld, das der 49-jährigen zwar hilft, aber nur ein kleiner Trost sein kann. Auf einen Rollstuhl und auf fremde Hilfe wird sie ihr Leben lang angewiesen sein. Wie der Fall der 29-jährigen PR-Fachfrau aus Nürnberg ausgeht, ist dagegen noch unklar. Auch sie kämpft wenigstens um ein paar Euro als Entschädigung. Die Gesundheit kann der jungen Frau keiner zurückgeben.

Falsch behandelt – und jetzt?

500 000 Behandlungsfehler gibt es jährlich in Deutschland. Andere Schätzungen gehen noch von weit höheren Zahlen aus. Irren ist menschlich, Fehler passieren, auch Ärzten. Ihre Fehler aber haben oft dramatische Folgen für die Betroffenen – die Gesundheit ist ein hohes Gut. Schadensersatz und Schmerzensgeld können das Leid wenigstens etwas lindern. Wir haben uns dazu mit Dr. Wolfgang Hacker unterhalten, er ist Fachanwalt für Medizinrecht.

Wann ein Behandlungsfehler überhaupt vorliegt, ist nämlich gar nicht so einfach zu klären. Das bloße Gefühl, falsch behandelt worden zu sein, weil es einem nach einer Behandlung nicht besser oder sogar schlechter geht, bedeutet noch nichts. Selbst ganz konkrete negative gesundheitliche Folgen müssen noch nicht auf einen Behandlungsfehler hindeuten. Manchmal handelt es sich ganz einfach nur um Schicksal. Kein medizinischer Eingriff ist ohne Risiko. Darüber wird man als Patient vorab auch aufgeklärt. Wenn aber eine Arzt die notwendige Sorgfalt vermissen lässt, wenn er sich an standardisierte Verfahren nicht hält, von vorgeschriebenen Leitlinien unbegründet abweicht und es deswegen zu gesundheitlichen Folgen kommt, kann es sich um einen Fehler handeln.

Dr. Wolfgang Hacker hat in seiner Zeit als Fachanwalt dabei schon einiges erlebt: Vor allem übersehene Schlaganfälle kommen sehr häufig vor. Wenn deutliche Anzeichen für einen Schlaganfall vorgelegen haben und keine entsprechende Behandlung vorgenommen worden ist, dann handelt es sich dabei um einen Behandlungsfehler. Auch in der Chirurgie gibt es viele Fehlerquellen: übersehene Brüche, falschbehandelte Bandscheibenvorfälle, nichterkannte Entzündungen, falsch gezogene Zähne. Und es kommen auch immer wieder Patienten zu ihm, die an den Folgen einer bakteriellen Infektion leiden, die einen Krankenhauskeim dahinter vermuten. „Aber Bakterien sind überall, und oft ist es schwer nachzuweisen, dass die aus dem Krankenhaus kommen.“

Die Beispiele zeigen, es gibt ganz unterschiedliche Arten von Behandlungsfehlern: Das geht schon bei der Aufklärung vor einer medizinischen Maßnahme los. Klärt ein Arzt nicht über die wichtigsten Punkte und auch Risiken der geplanten Behandlung auf, kann ein Aufklärungsfehler vorliegen. Wenn er dagegen ein Krankheitsbild falsch beurteilt, nicht die richtige Untersuchungsmethode anwendet oder Befunde wie einen Bruch auf einem Röntgenbild übersieht, kann es sich um einen Diagnosefehler handeln. Im nächsten Schritt kann dann ein sogenannter Therapiefehler vorliegen, das sind die Fälle, die am meisten für Aufsehen sorgen: Eine falsche Operation, ein durchtrennter Nerv, eine vergessene Schere, aber auch falsche Medikamente. Und letztendlich können auch in der Organisation des Krankenhauses oder der Praxis Fehler vorliegen, die zu einer Haftung des Arztes führen können, wie zum Beispiel hygienische Mängel.

In jedem Fall ist es für einen Patienten wichtig, sofort ein Gedächtnisprotokoll zu verfassen. Allzu schnell sind wichtige Details nämlich vergessen. Zudem sollte man sich schnell bei seiner Krankenkasse melden. Gesetzliche Krankenkassen haben die Pflicht, Patienten beim Verdacht auf Behandlungsfehler zu unterstützen. Auch der Gang zum Anwalt sollte unbedingt in Erwägung gezogen werden. Wer sich nämlich ohne anwaltliche Unterstützung um die Abwicklung eines medizinischen Schadens kümmert, kommt oft schlechter weg, weil zum Beispiel das geforderte Schmerzensgeld zu niedrig ausfällt oder weil berechtigte Ansprüche schlicht vergessen werden.

Anwälte kümmern sich um die Patientenakte, sprechen mit der Krankenkasse, kümmern sich um mögliche Gutachten, geben eventuell notwendige weitere fachliche Expertisen in Auftrag, kümmern sich um eine Stellungnahme des Arztes und führen am Ende auch die Verhandlungen mit der Gegenseite, vor der Schlichtungsstelle oder in letzter Konsequenz auch vor Gericht.

Wenn ein Behandlungsfehler vorliegt, stehen dem Patienten Ansprüche auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld zu. Der Schadensersatz umfasst dabei alle materiellen Schäden auf Grund der Fehlbehandlung wie zum Beispiel Verdienstausfall oder Fahrtkosten. Das Schmerzensgeld wiederum soll die gesundheitlichen Folgen materiell kompensieren und auch so etwas wie eine Wiedergutmachung sein. Die Höhe hängt vor allem von Ausmaß und Dauer der Beeinträchtigungen ab. Bis zu 500 000 Euro hat Hacker schon einmal für einen Patienten erstritten, meistens enden die Verfahren in einem Vergleich und vierstelligen Summen, erzählt er.

Aber, fügt er auch hinzu, manchmal würde es den betroffenen Patienten schon reichen, wenn ein Arzt sich bei Ihnen entschuldigt, einen Fehler persönlich eingesteht. „Leider treffen sie hier oft auf eine Mauer des Schweigens.“

Dr. Wolfgang Hacker ist Fachanwalt für Medizinrecht in der Kanzlei Hörnlein & Feyler in Coburg. Er hat neben seiner juristischen Ausbildung auch die medizinische Zusatzausbildung „Master in Health and Medical Management“ absolviert. Gerne steht er für Auskünfte oder zur Beratung zu Verfügung.

Autor: Benedikt Dellert

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