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SONDERTHEMA Heimat – Heimat ist keine Idylle #22

Warum es in Coburg kein Stadtmuseum gibt.

Ein bewegte Geschichte entlang an Bruchlinien und mit Brüchen. Eine sächsische, europäische, fränkische, bayerische Geschichte. Dunkle Kapitel neben strahlenden Abschnitten. Und vor allem über 22.000 Exponate aus fast 1000 Jahren Coburg. Doch die liegen unterirdisch begraben, der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Ein Stadtmuseum nämlich gibt es nicht. Besser: Gibt es schon lange nicht mehr. Besser: Gibt es noch nicht. Vielleicht: Gibt es nie?

Eine Spurensuche mit Stellungnahmen von Rupert Appeltshauser, dem 1. Vorsitzenden und Andreas Lindemann, dem 2. Vorsitzenden der Initiative Stadtmuseum, die sich seit über 20 Jahren für ein Stadtmuseum engagiert.

Über 20.000 Exponate: Das Depot der städtischen Sammlungen.

„Was uns wirklich stört, ist die mangelhafte Unterstützung der Stadtspitze.“

Zur Coburger Geschichte

Coburg ist wahnsinnig spannend und exemplarisch für die vielen Brüche der Geschichte, für die Pole zwischen autokratischer Macht und Demokratie, zwischen denen sich Geschichte bewegt. Coburg zur Zeit der Reformation an der Nahtstelle von protestantischem Norden und katholischem Süden, Coburg als Residenzstadt mit Verbindungen in viele Königshäuser in ganz Europa, Coburg als Ort der Nationalbewegung und des Liberalismus, Coburg als Hochburg des Nationalsozialismus, Coburg als Ort am eisernen Vorhang zwischen Ost und West. Es bildet sich jede Epoche exemplarisch ab in Coburg. Coburg war aber auch immer wieder Ort technischer Innovationen, demokratischen und sozialen Fortschritts. Flocken als Wegbereiter der Elektromobilität, die erste Arbeiterzeitung, das ehemalige Volksbad als erstes Zeichen einer neuen Sozialkultur, das Postgebäude als Stück moderne Architektur gegen die Engstirnigkeit der Nazis. An vielen Orten im Stadtgebiet sehen wir Zeugnisse dieser bewegten Geschichte. Und diese dokumentiert sich vor allem auch in vielen Archiven, Privatsammlungen, anderen Beständen und vor allem in den 22000 Objekten im Depot der Städtischen Sammlungen. Das alles liegt jetzt seit vielen Jahrzehnten brach.

Zu Coburgs Sicht auf die Geschichte

In Coburg hat man gerne eine dynastische Sicht auf die Geschichte, weniger aus dem Blickwinkel einer demokratischen Geschichtskultur. Dass man sich gerne mit dem Krönchen zeigt, verengt und überstrahlt die ganze Geschichte. Wir haben fast ein bisschen die Angst vor dem 200. Geburtstag von Prinz Albert und Queen Victoria im Jahr 2019, dass das zu sehr in eine Richtung geht, dass die dynastische Geschichte zum Mythos wird. Ich würde auch gerne Albert und die Bildung, Albert und den Liberalismus, Albert und die Weltausstellung aufbereitet sehen und nicht nur die Liebesbeziehung. Im Übrigen könnte man da auch einmal die Abgründe der Beziehung zeigen, das gehört auch dazu. Aber natürlich ist es völlig in Ordnung, wenn Coburg diesen Teil der Geschichte nutzt, um Werbung für sich zu machen, um Touristen in die Stadt zu holen.

Zur Bedeutung von Geschichte

Geschichte ist eine Frage der eigenen Identität und auch der kollektiven Identität. Man kann sich nur als Individuum orientieren an dem, was gegeben ist, deswegen muss man das kennen. Geschichte ist also eine wichtige Voraussetzung der eigenen Identität und nicht nur dazu da, um aus ihr zu lernen. Die Geschichte erklärt mir die Gegenwart, und nur dann kann ich die Zukunft verstehen. Der historisch gebildete Mensch hat eine höhere Problemlösungskompetenz, er wird autarker, weil er sich helfen kann. Das muss doch auch das Ziel eines Museums, von Ausstellungen sein. Auch dem aktuellen Populismus können sich nur die Bildung und die demokratische Kultur entgegenstellen.

Zur Initiative Stadtmuseum

Es gab von 1905 bis 1943 schon einmal ein Städtisches Museum, die Nazis machten 1931 daraus ein Heimatmuseum, allerdings alles nur ganz provisorisch im Rathaus. Danach waren die städtischen Sammlungen jahrzehntelang in irgendwelchen Räumen gelagert, waren fast schon verwahrlost. Es gab mal Bestrebungen, in der Herrngasse gemeinsam mit dem Kunstverein eine Heimatmuseum einzurichten, aber das scheiterte. In den 1990ern entstand dann eben das Bedürfnis, das zu ändern, so entstand die Initiative Stadtmuseum. Es kann ja nicht sein, dass wir ein derartiges Kulturgut, viele Objekte, Coburger Kunst, eine große Porzellansammlung, dass wir alles das irgendwo unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegsperren und der Vernachlässigung preisgeben. Das wollten wir verhindern.

„Dass man sich gerne mit dem Krönchen zeigt, verengt und überstrahlt die ganze Geschichte.“

Zur Idee eines Stadtmuseums

Das ist ein Trauerspiel. Ursprünglich sollte es ja in der Steingasse untergebracht werden, in einem eigentlich wunderschönen, aber heruntergekommenen Barockhaus. Doch die Idee ist 2002 erst einmal am Geld gescheitert. Danach haben wir gesagt, ok, dann probieren wir es in kleinen Schritten. Der ehemalige Oberbürgermeister Norbert Kastner war da auch mit im Boot, unterstützte die Idee, erst einmal anzufangen mit einer überdachten Halle zwischen Stadtmuseum und Stadtarchiv mit einer Darstellung der Stadtgeschichte. Das gab es eigentlich einen breiten Konsens. Doch 2004 haben wir dann eine Ausstellung gemacht zum Thema „Voraus zur Unzeit‘: Coburg und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland“. Das kam bei vielen Personen in der Stadt nicht gut an, auch im Stadtrat. Dann haben wir uns 2005 noch einmal in einer Ausstellung mit der „Stunde Null“ auseinandergesetzt, auch mit der Rolle des Herzogs. Auch das stieß auf Kritik. Wir als Initiative Stadtmuseum Coburg galten plötzlich als Nestbeschmutzer, es wurde gesagt, wir strebten nichts anderes an als ein Vergangenheitsbewältigungsmuseum, dabei wollten wir nur zeigen, dass ein Stadtmuseum sich auch den Problemen der Geschichte stellen, sie aufbereiten muss, Heimat ist ja keine Idylle. Der Stadtrat hat das Projekt dann 2011 verschoben in die Zukunft. Doch bevor man wieder darüber beraten konnte, hat man das Haus in der Steingasse verkauft. Wir meinen, eigentlich entgegen des Stadtratsbeschlusses.

Zur Zukunft eines Stadtmuseums

Wir wissen natürlich mittlerweile, dass ein großes Museum unwahrscheinlich sein wird, daher suchen wir nach einer geeigneten Stätte für größere wechselnde Ausstellungen. Seit einiger Zeit diskutieren wir gemeinsam mit der Hochschule und im Rahmen des europäischen Innovationsprogramms „MakingCulture“ eine Lösung im ehemaligen Schlachthof Coburg. Wobei natürlich auch andere Orte wie z. B. im Sanierungsgebiet Steinweg in Frage kommen. Man könnte mit so einem Museumsansatz auch sehr aktuelle Themen aufgreifen, Hochkultur ist ja schön und gut, aber viele Menschen erreicht man eher durch Ausstellungen mit aktuellen Bezügen. Dafür müsste die Stadt einen Ort zur Verfügung stellen, müsste sich an Unterhalt und Personal beteiligen. So ein stadtnaher Ort wäre geeignet für wechselnde Ausstellungen, übrigens nicht nur von uns sondern z.B. auch vom Kunstverein oder der Historischen Gesellschaft. Das stünde einer Kultur- und Bildungsstadt Coburg gut zu Gesicht. Außerdem geht es uns vor allem auch um die Zukunft der städtischen Sammlungen. Es braucht eine sichere Betreuung, es braucht Ankäufe und eine Ergänzung des Programms: Wenn man jetzt nichts ankauft, ist das ein Kulturverlust der aktuellen Zeit, das wäre nie mehr gutzumachen.

Zum Verhältnis zur Stadtpolitik

Was uns wirklich stört, ist die mangelhafte Unterstützung der Politik, über den 2011 vollzogenen Stillstand hinauszugehen. Die Kulturverwaltung ist stets bereit, uns im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen. Aber auf der Ebene darüber wird uns demonstrativ der Dialog verweigert. Wir sind ein ehrenamtlicher Verein, der sich einsetzt, und da möchte man drauf verzichten, man mag uns nicht. Die Stadtspitze heute hat eben ein spezielles Verständnis von Harmonie. Und in diesem Harmoniebild nimmt man uns als störend wahr. Auch über die Ideen wechselnder Ausstellungen möchte die Stadt mit uns nicht sprechen. Das ist empörend. Dabei geht es uns wirklich nur um die Aufbereitung der Geschichte. Wir sind völlig überparteilich, unsere Mitglieder sind jeglicher Couleur, wir sind keine Ankläger, keine Moralapostel, wir wollen nur mitgestalten in der Stadt, aber wir haben manchmal das Gefühl, das ist nicht erwünscht, weil wir nur Arbeit machen. Man sieht uns politischer als wir eigentlich sind. Wir sind geschichtsinteressiert, aber nicht parteipolitisch.

Von Wolfram Hegen
Foto: Sebastian Rüger

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