
Der Nachbau des Flocken-Elektrowagens aus dem Jahr 1888 geht auf die Zielgerade
Sein Name mag heute weniger bekannt sein als der von Benz oder Daimler, aber auch der Coburger Andreas Flocken war ein echter Pionier. Mit seinem „Flocken Elektrowagen“ von 1888 hat er Automobilgeschichte geschrieben – als Erfinder des ersten deutschen Elektroautos. Vor vier Jahren ist eine Gruppe engagierter Coburger angetreten, dieses automobile Erbe der Vestestadt wieder zum Leben zu erwecken. Und schon bald soll es soweit sein.
Im November 2021 trifft sich in Coburg eine Runde technikbegeisterter Männer, getrieben von einer Idee, die so verrückt wie im wahrsten Sinne elektrisierend ist: den originalgetreuen Nachbau des vermutlich ersten Elektrowagens der Welt, den Andreas Flocken Ende der 1880er Jahre gebaut hat. Sie wollen ein technisches Wunderwerk der Frühzeit der Elektromobilität wiederbeleben und damit die Ingenieurskunst und Innovationskraft dokumentieren, die Coburg einst prägten – und bis heute prägen.

Andreas Flocken
Jetzt, noch keine vier Jahre später, wird der Traum in einer Werkstatt des Coburger Maschinenbauunternehmens LASCO so langsam Wirklichkeit. Hinter den Technikenthusiasten liegen Stunden, Tage, Wochen, Monate voller Euphorie und Getüftel. Im Sommer schon, so der Plan, soll der Nachbau des Elektrowagens dann wieder durch Coburg rollen – fast 140 Jahre nach seiner Jungfernfahrt.
Andreas Flocken war ein Mann, der seiner Zeit weit voraus war. Geboren in eine Ära, in der die industrielle Revolution gerade erst Fahrt aufnahm, wagte er 1880 den Schritt in die Selbstständigkeit. In seiner Wahlheimat Coburg gründete er eine Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen. Doch schon bald reichte ihm das nicht mehr. Während andere noch auf Dampfkraft setzten, erkannte Flocken die Möglichkeiten der Elektrifizierung, die damals noch in den Kinderschuhen steckte. Er baute nicht nur elektrische Anlagen, sondern auch Turbinen, Generatoren und Elektromotoren.
Seine Vision ging so weit, dass er schon früh die Elektrifizierung eines Coburger Stadtviertels plante – ein Gedanke, der seiner Zeit schlicht zu radikal war. 1888 setzt Flocken ein besonderes Zeichen: Er baut einen Elektrowagen, der vermutlich der erste seiner Art. Dieses Fahrzeug, dessen Karosse noch an eine Kutsche erinnert, ist ein technologisches Experiment. Flocken verbindet dabei traditionelle Handwerkskunst – die Karosse wird wahrscheinlich von einem der damaligen Kutschenbauer Coburgs gefertigt – mit modernster Elektrotechnik. Von diesem historischen Fahrzeug aber sind heute nur wenige Fotos übriggeblieben. Es gibt keine Baupläne, keine detaillierten technischen Unterlagen. Doch genau diese Herausforderung macht das Nachbauprojekt so spannend.
Bald rollt er wieder
Mit Hilfe von hochauflösenden Kopien der historischen Fotografien, digitaler Rekonstruktionen und intensiven Recherchen hat das Team eine Grundlage geschaffen, auf der der Nachbau mittlerweile weit fortgeschritten ist. „Der erste Schritt war die Analyse der Proportionen“, erklärt Teammitglied Rupert Appeltshauser von der Initiative Stadtmuseum. „Wir haben die historischen Fotos mit 3D-Modellen überlagert, um die exakten Dimensionen zu ermitteln.“

Gefragtes Know-How aus Coburger Industrie: Rahmenbau bei Firma Kapp Niles
Neben der dürftigen Quellenlage sind vor allem die technischen Herausforderungen enorm. Allein die Nachbildung der historischen Batterie – eines Tudor-Akkumulators – erfordert akribische Arbeit. „Wir mussten moderne Technik mit historischer Authentizität verbinden“, erklärt Rolf Sander von der Berufsschule Coburg. „Das „Innenleben“ der Batterie wird aus Sicherheits- und Leistungsgründen modern sein, aber äußerlich sieht sie aus wie das Original.“

Exkursion nach Polen: Der Nachbau der Karosserie
Die technische Grundlage liefert ein Hauptschluss-Gleichstrommotor, der etwa 1 kW Leistung bringt – genau wie das Original. Als Vorlage dient ein Motor aus dem Thüringer Museum für Elektrotechnik und entspricht der Bauart, die Flocken damals selbst entwickelt hat. Die Karosse, eine filigrane Konstruktion, die Kutsche und Automobil vereint, wurde anhand von Recherchen dem damaligen Coburger Unternehmen Blümlein zugeordnet.
„Wir hatten das Glück, eine historische Kutsche zu erwerben, die als Vorlage diente“, berichtet Peter Langendorf von Making Culture e.V. Diese Kutsche half nicht nur, die Proportionen zu bestimmen, sondern auch, die Bauweise nachzuvollziehen. Die Rekonstruktion des Flocken Elektrowagens erfordert nicht nur technisches Können, sondern auch detektivisches Gespür. Alte Dokumente wurden gesichtet, und Experten aus verschiedenen Bereichen – vom Fahrzeugbau bis hin zur Elektrotechnik – arbeiten Hand in Hand. Besonders herausfordernd ist es, die historischen Materialien und Fertigungsmethoden nachzuahmen. So müssen beispielsweise die Holzkarosserie und die Speichenräder in traditioneller Handwerkskunst hergestellt werden, während der Elektromotor mit modernen Fertigungsverfahren rekonstruiert wird.

Testaufbau an historischer Kutsche: Platz für die Batterie
Mit Unterstützung aus der Coburger Industrie ist es so gelungen, den Nachbau in diesem Jahr fertigstellen zu können. Ohne die finanzielle Unterstützung und die Bereitstellung von Personal, Technik, Know-how und Räumlichkeiten von Partnern wie den Firmen KAPP NILES, LASCO sowie der Firma VALEO Bad Neustadt – in Zusammenarbeit mit der Hochschule Coburg in Rahmen einer Bachelor-Arbeit – wäre dieses ambitionierte Projekt nicht möglich gewesen.
Es ist aber vor allem ein Zeugnis für die Hartnäckigkeit und die Begeisterung des Projektteams. Einer davon ist Gerhard Kampe von der Experimentierplattform MakingCulture e.V. „Es ist faszinierend, wie viel Innovationsgeist in diesem kleinen Wagen steckt. Flocken war ein echter Pionier, und das wollen wir zeigen“, sagt er. Andreas Flocken nämlich ist vor allem eines: Ein Symbol für den Mut, Neues zu wagen. Sein Elektrowagen und der Nachbau dieses Fahrzeugs sind ein Denkmal für den Fortschritt – damals wie heute. Die Coburger Enthusiasten, die dieses Projekt mit unermüdlichem Einsatz vorantreiben, zeigen, dass Innovation und Leidenschaft auch in der heutigen Zeit kein Relikt der Vergangenheit sind, sondern Antrieb für die Zukunft.

Enthusiastisch: Das „Flocken-Team“ mit fast fertigem Nachbau (von links: Peter Langendorf, Making Culture e.V., Gerhard Kampe,
Making Culture e.V., Rolf Sander, ehem. Berufsschule Coburg, Rupert Appeltshauser, Initiative Stadtmuseum; nicht mit auf dem Foto: Axel Lindner,
Seniorexperte Hochschule Coburg und Walter Ehrlicher, ehem. Berufsschule Coburg)
Ein besonderes Highlight erwartet alle Automobil- und Technikbegeisterten im September 2025. Der Nachbau des Flocken Elektrowagens wird dann auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in München zu sehen sein. „Das ist für uns eine großartige Gelegenheit, Projekt einem breiten Publikum vorzustellen und den Erfindergeist von Andreas Flocken zu würdigen“, freut sich das Team. Und schon im Sommer wird es ein großes öffentliches Rollout in Coburg geben, verspricht man.
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