Es hätte jeden treffen können #2

In der Coburger Straße erinnert jetzt ein Stolperstein an Johann Kraus. Er wurde ermordet, weil er krank war. Seine Enkelin Petra Müller hat nachgefragt und Unterstützer gefunden, die seine Geschichte aufgeschrieben haben.

„Dieser Opa kam nie vor“, sagt Petra Müller, die genau genommen die Stiefenkelin von Johann Kraus ist. Er war der erste Mann ihrer Oma. Johann Kraus wurde am 28. Juni 1898 in Straßgiech geboren. Er wäre 62 Jahre alt gewesen, als Petra Müller in Lichtenfels im Oberen Torturm geboren wurde. Dort wohnte die Oma mit ihren Kindern. Sie redeten viel. „Meine Oma war eine weltoffene, sehr tolerante Frau“, erzählt Müller. Aber Opa Johann kam nie vor. Es fragte auch keiner.

Jetzt hat Johann Kraus in Lichtenfels einen Stolperstein bekommen. „Ermordet im März 1941 in Pirna-Sonnenstein“ steht darauf. „Ich habe gar nicht gewusst, dass dein Opa Jude war“, hat Müller immer wieder gehört. Das war er auch nicht. Er war Christ, Schneider, Soldat im Ersten Weltkrieg – und dort verwundet. „Danach hat er sich verfolgt gefühlt“, hat Müller herausgefunden. In seiner Krankenakte steht etwas von starker Müdigkeit und Augenschmerzen, von Tobsuchtsanfällen und schwerer Art von Verfolgungswahn.

Petra Müller hat diese Akte im Staatsarchiv ausfindig gemacht. Den Anstoß gab ihre Tante. Sie sollte zu einer Behandlung ins Bezirkskrankenhaus nach Kutzenberg. Und sie weigerte sich: „Da geh ich nicht hin, da haben die Nazis meinen Vater ermordet.“ Plötzlich war Opa Johann wieder da. Er, der mit seiner Frau fünf Kinder bekam – und als die jüngste Tochter ein Jahr alt war, nach Kutzenberg eingeliefert wurde. „Psychische Erkrankungen waren damals eine Schande – und sie sind es ja auch heute oftmals noch. Heute hätte man Opa Johann nach seinen Kriegserlebnissen wahrscheinlich gut mit Medikamenten behandeln können“, sagt Müller. Es kam anders.

„Weniger im allgemeinen Bewusstsein sind die Toten der Aktion T4, der sogenannten Euthanasie“, sagt Bezirksheimatpfleger Günter Dippold. „Heute wird ein weiterer Stolperstein für ein Opfer aus Kutzenberg verlegt, einen nicht jüdischen, einen christlichen (oder, in Nazi-Sprache, einen „arischen“) Lichtenfelser. Erst langsam beginnt ferner hier in Oberfranken die Forschung nach Sinti, sogenannten Zigeunern, die Opfer des Nazi-Mordens wurden. Nach anderen Opfern, Homosexuellen etwa, ist in der Region noch gar nicht geforscht. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass es eine Vielfalt von Opfern der Nazi-Gewalt und des gewissenlosen Hinschlachtens gab“, so Dippold bei der Verlegung der Stolpersteine mit Gunter Demnig.

„Psychische Erkrankungen waren damals eine Schande – und sie sind es ja auch heute oftmals noch.“ Petra Müller

Johann Kraus war einer von vielen, die aus Kutzenberg deportiert wurden. Allein am 28. März 1941 mussten 133 Patientinnen und Patienten die Klinik verlassen, weil sie – wie Johann Kraus – nicht arbeitsfähig waren und ihre Krankheit als unheilbar galt. In der Nazi-Sprache war Petra Müllers Opa „minderwertig“ und „lebensunwürdig“. Sie hat herausgefunden, dass ihr Opa am 1. März nach Arnsdorf, am 18. März nach Pirna verschleppt wurde. Dort ging es ihm wie 988 überwiegend fränkischen Menschen, die die Nazis vernichtet haben. Die Namen der Ermordeten, die bekannt sind, stehen dort auf einer Gedenktafel.

„Es hätte jeden treffen können, der nicht in die Norm gepasst hat. Homosexuelle, Sinti, Menschen mit körperlichen oder psychischen Leiden“, sagt Petra Müller. Mit dem Stolperstein in der Coburger Straße ist für sie ein Kapitel abgeschlossen, an dem sie sieben Jahre lang gearbeitet hat. In der Gedenkstätte in Pirna hatte sie das Glück, dass ein Mitarbeiter die Akte ihres Opas aufarbeitete. Dort ist ein kleines Heft über ihren Opa Johann Kraus entstanden. Band 41. „Bislang war die NS-Zeit für mich geprägt von Zahlen ohne Bezug. Das war irgendjemand“, sagt sie. Jetzt ist die Geschichte mitten in ihrer Familie.

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