Angekommen
In unserer Reihe „Grenzerfahrungen“ erzählen Menschen ihre Geschichten. Es sind Geschichten von Krankheit, Unfällen, Flucht oder Ähnlichem. Dieses Mal haben wir Rustum Abrahim und seine Frau Manal Ahmad getroffen. Ibrahim ist 2014 vor dem Krieg in Syrien geflohen. Seit 2016 lebt er mit seiner Familie in Coburg.
Rustum Abrahim flüchtet 2014 vor der Terrormiliz Islamischer Staat und dem Bürgerkrieg aus Syrien. Er läuft zu Fuß von Syrien nach Deutschland. Er legt 3700 Kilometer zurück und ist zwei Monate lang unterwegs. Heute lebt er mit seiner Frau und seinen fünf Kindern in Coburg. Im April dieses Jahres hat Rustum Abrahim einen Barber Shop eröffnet.
Wir treffen uns im „Star Barber Shop“ im Steinweg. Rustum Abrahim, seine Frau Manal Ahmad und sein Schwager Basl Ahmad erwarten uns. Mit dabei ist die jüngste Tochter, die fünfjährige Susanna. Rustum und seine Familie sind in der neuen Heimat angekommen, sie fühlen sich wohl. „Hier können wir frei und in Frieden leben“, sagt Manal. Das, was Menschen im Krieg erleben, was sie auf der Flucht durchmachen, ist unvorstellbar. Vielen Geflüchteten fällt es deshalb sehr schwer, über die traumatischen Erlebnisse zu reden. Rustum und Manal erzählen uns ihre Geschichte: Die Familie lebt in einem kleinen Dorf, das sich in einem kurdischen Gebiet im Nordosten von Syrien, nahe der Stadt Hasaka, befindet. Rustum arbeitet als Barbier im Libanon und in Damaskus. Im Jahr 2011 bricht ein Bürgerkrieg in Syrien aus, die Terrormiliz IS kontrolliert das Land. Syrische Männer werden festgenommen und zum Militärdienst gezwungen.
Sie werden zu Sammelstellen gebracht und an die Armee übergeben. Die Flucht ist für viele Männer der einzige Ausweg, um zu überleben und um ein neues Leben in Frieden und Freizeit zu beginnen. Im Jahr 2014 beschließt Rustum gemeinsam mit Verwandten das Land zu verlassen.
„Ich wollte nicht kämpfen, ich wollte die Zukunft meiner Kinder erleben“
Rustum und seine Frau Manal erwarten ihr viertes Kind. Eigentlich möchte Manal gemeinsam mit ihrem Mann fliehen. Aber das ist zu gefährlich und anstrengend für eine schwangere Frau und die vier Kinder. Rustum beschließt, seine Familie so schnell wie möglich nachzuholen.Tatsächlich wird es zwei Jahre dauern, bis er seine Frau und seine Kinder wieder in die Arme nehmen kann.
3700 Kilometer zu Fuß
Rustum, sein Onkel und sein Bruder machen sich zu Fuß auf den Weg, drei Männer, kaum Gepäck, nur ein kleiner Rucksack. Das Ziel ist Deutschland. Von Syrien nach Deutschland sind es ungefähr 3700 Kilometer. Eine Strecke, die die Männer, wie viele Flüchtende, zu Fuß zurückgelegen. An manchen Tagen läuft Rustum 27 Stunden Non-Stopp. Die Menschen laufen meist in der Nacht, tagsüber verstecken sie sich.
Sie sind immer auf der Hut, leben immer in der Angst entdeckt zu werden. An der türkischen Grenze heißt es für viele eigentlich: Endstation. Die Türkei hat entlang der Grenze Betonwände, Stacheldraht und Wachtürme errichtet. Der Stacheldrahtzaun mit seinen vielen engmaschigen, scharfkantigen Graden scheint unüberwindbar. Aber: „Es gab keine Wahl, entweder man läuft zurück und man läuft weiter“, sagt Rustum. Zurückgehen ist keine Option.
Einen Monat und vier Tage in Bulgarien in Haft
Die Männer überwinden den Stacheldraht und kommen verwundet in der Türkei an. Die Haut ist von den messerscharfen Spitzen mit Schnittwunden übersät, die Kleidung ist blutig und zerrissen. In Istanbul werden sie von Bekannten mit neuer Kleidung versorgt. Sie setzen ihre Flucht fort in Richtung Bulgarien. Dort angekommen, erwartet sie die nächste Odyssee. Sie werden von der bulgarischen Polizei festgenommen und verhaftet. Es ist in Bulgarien gängige Praxis, Geflüchtete in Gefangenlager zu sperren. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl prangert die dramatischen Zustände seit Jahren an. Die Bedingungen und die hygienischen Verhältnisse in den Gefangenenlagern sind unbeschreiblich. Rustum fallen die Haare aus, er bekommt Allergien und kann wegen der Enge (es sind viele Männer auf engstem Raum) nicht schlafen.
Nach einem Monat und vier Tagen kommt er frei und setzt seine Flucht fort, weiter nach Serbien, Ungarn bis nach Deutschland. Nach 3700 Kilometern und zwei Monaten kommt er in München an und wird dort in einem Erstaufnahmelager aufgenommen. „Ich bin endlich in Deutschland“, teilt er seiner Frau mit. Es ist der 14. Juli 2014. Einen Tag später bringt Manal in Syrien ihr viertes Kind zur Welt. Nach der Erstaufnahme geht es für Rustum nach Günzburg, wo er als Friseur arbeiten kann.
In den ersten Wochen nach Rustums Flucht hat Manal keine Verbindung zu ihrem Mann, sie weiß nicht, wie es ihm geht. „Das war sehr schwer für mich mit den Kindern. Wir mussten aufpassen, weil der IS im Land war“, sagt sie. Als sie mit ihrem Mann über WhatsApp Kontakt aufnehmen kann, zeigt sie den Kindern Fotos („Damit sie ihren Papa nicht vergessen“). Im Jahr 2015 hat sie in der Türkei ein erstes Interview wegen des Familiennachzugs. Doch in dem Papier ist beim jüngsten Kind ein falsches Geschlecht angegeben, anstelle von weiblich steht da männlich. Das bedeutet, dass sie kein Visum erhalten kann und einen neuen Ausweis und Pass beantragen muss. Also muss die Familie weiter warten. Nach weiteren Monaten erhält Manal eine Nachricht und die erforderlichen Papiere. Sie darf mit ihren Kindern ihren Mann nach Deutschland folgen. Zwei Jahre sind seit seiner Flucht aus Syrien vergangen.
Ankunft in München am 13. März 2016 um 14 Uhr
Das Datum vergisst die Familie nicht: Am 13. März 2016 um 14 Uhr landen Mutter und Kinder am Münchner Flughafen. Dort wartet Rustum mit einem Strauß Blumen auf seine Familie.
„Ich konnte es gar nicht glauben. Es war wie ein Traum. Ich habe gedacht, vielleicht bin ich noch nicht aufgestanden“ – Manal Ahmad, als sie nach zwei Jahren ihren Mann wiedersieht
Die Kinder müssen ihren Papa neu kennenlernen, die jüngste Tochter hat ihren Vater noch nie gesehen. „Sie hat dann gefragt, Mama, wer ist das?“, erzählt Manal. Nach der Familienzusammenführung kommt die Familie gemeinsam nach Coburg. Sie absolvieren Sprachkurse und Orientierungskurse, um die deutsche Kultur, Lebensweise und Regeln zu verstehen. Unterstützung bekommen sie von Susanne Kleiner, die als ehrenamtliche Flüchtlingshelferin arbeitet. Rustum findet Anstellung bei einem Friseur und ein fünftes Kind, Susanna, wird geboren. Als in Coburg ein Friseurladen frei wird, beschließt er, sich selbstständig zu machen. Tipps und Ratschläge erhält er von Verwandten, die ebenfalls als Barbiere arbeiten. Mit viel Eigenleistung und Unterstützung von Familie und Freunden richtet er den „Star Barber Shop“ im Steinweg ein. Auch Manals Bruder Basl arbeitet dort. Die mittlerweile siebenköpfige Familie lebt in einer kleinen Mietwohnung in Coburg. „Wir sind sehr glücklich und sehr dankbar, dass wir hier sein dürfen.“
Seit März 2011
… herrscht ein Bürgerkrieg in Syrien. Die UNO schätzt, dass bereits seit Beginn des Bürgerkrieges 470.000 Tote zu beklagen sind. Aus Angst vor der Gewalt fliehen täglich Menschen aus Syrien. Fast 5 Millionen Menschen sind ins Ausland geflohen, rund 6,5 Millionen Kinder, Frauen und Männer sind innerhalb von Syrien auf der Flucht. Etwa die Hälfte der Geflüchteten sind Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren. Fast die Hälfte der Kinder geht nicht mehr zur Schule. Die UNO bezeichnet die Flüchtlingskrise als eine der schlimmsten, die es je gegeben hat.
Quelle: frieden-fragen.de
Ich kenne die Familie Ibrahim persönlich, ihre Fluchtgeschichte war mir nicht bekannt. Meinen Respekt an den Vater, an alle Familienmitglieder, die sich inzwischen in Coburg eine neue Existenz aufgebaut haben.
Leider strotzt dieser Artikel vor Rechtschreib- und Grammatikfehlern.
Schade, dass noch nicht mal der Familienname richtig geschrieben wurde…