Grenzerfahrungen: Helfen in Krisengebieten #64

Roman Petryczkas Einsatz für das THW Coburg

„Wir fahren durch den Wald, biegen in den Ort ein und denken: ‚Was ist hier los?‘ Wir können es gar nicht glauben, dass hier einmal ein belebter Ort oder ein Dorf war. Es ist, als ob ein Güterzug durch ein Haus fährt. Überall ist Schlamm und Dreck, alles unterspült, Gräben ausgespült, Straßen gibt es nicht mehr. Wo früher Wiesen und Felder waren, ist nur noch Dreck und aufgetürmter Müll.“ Roman Petryczka, THW Coburg

Die Bilder kennt er bereits aus dem Fernsehen. Und dennoch: Das Ausmaß ist so erschütternd, wie er es bisher nur bei Auslandseinsätzen erlebt hat. Roman Petryczka vom THW Coburg ist nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal im Einsatz. Die Zerstörung und ihre Folgen. Bis zum Juli 2021 war das Ahrtal eine malerische Region in Rheinland-Pfalz, geprägt von Weinbergen und idyllischen Dörfern. Dann kommt die Flut. Heftige Regenfälle lassen die Pegel der Flüsse steigen, aus Bächen werden reißende Ströme. Die Wassermassen haben eine unvorstellbare Wucht. „Man kann nicht glauben, welche Gewalt Wasser hat und was es anrichten kann“, erinnert sich Petryczka. Den Helfern bietet sich folgendes Szenario: Gebäude liegen auf der Straße, Befestigungen sind eingestürzt, riesige Geländerabschnitte hängen in der Luft oder schwimmen im Fluss. Autos und Baucontainer liegen kreuz und quer.

Brückenfundamente, die Hunderte Tonnen wiegen, sind verdreht und umgeworfen. „Es sieht aus, als ob Legosteine ausgekippt wurden“, sagt der 55-Jährige. Auch viele Menschen haben in der Flut ihr Leben verloren. „Es ist ein Zerstörungsbild, das ich eigentlich nur aus Auslandseinsätzen kenne. Ich habe mich gefragt: ‚Bin ich jetzt in Deutschland oder in Südostasien oder Afrika?‘ Dort ist nicht alles so stabil gebaut wie hier in Deutschland“, erzählt der Coburger.

Vergleich mit Auslandseinsätzen

Das Bild der Zerstörung kennt Petryczka. Das hat er schon öfter bei Einsätzen im Ausland gesehen, wie in Sri Lanka oder Pakistan zum Beispiel, aber nicht hierzulande. Das ist eine neue Dimension. Im Ahrtal haben die Helfer aus Coburg die Aufgabe, die Infrastruktur so gut es geht wiederherzustellen, also Straßen freizuräumen, den Wegebau zu unterstützen oder auch Keller auszupumpen. „Wir möchten der Bevölkerung ein Maß an Normalität zurückbringen. Wir beseitigen Schäden, ziehen Stahlgestelle aus dem Fluss, pumpen Heizöl ab und um“, sagt Petryczka. Mit dabei sind Radlader und Kipper; mit dem Brennschneider werden die schweren Brocken in handliche Stücke geschnitten.

Die Stimmung im Einsatzgebiet

Die Stimmung ist oft niedergeschlagen, denn viele Menschen haben alles verloren. Häuser, die augenscheinlich noch in Ordnung sind, müssen wegen Einsturzgefahr abgerissen werden. „Der Bagger kommt und nach zehn Minuten ist das Haus weg und damit die Existenzgrundlage vieler Menschen“, berichtet Petryczka. Im Ahrtal leben viele Menschen vom Weinanbau. Einige reinigen an der Straße ihre Weinflaschen vom Schlamm und verpacken sie in Kisten – ein Stück Normalität im Chaos. Eine Mischung aus Ernüchterung, blankem Entsetzen, aber auch Zuversicht unter den Menschen liegt in der Luft. „Es gibt solche und solche Momente“, sagt der Coburger.

Auslandseinsätze: Grenzerfahrungen und Kulturschocks

Roman Petryczka beginnt in den 1990er-Jahren seinen Wehrersatzdienst beim Technischen Hilfswerk Ortsverband Coburg im Katastrophenschutz. Schnell zeichnet sich ab, dass der junge Mann das Zeug zu mehr hat. Nach einem Jahr wird er bereits Gruppenführer. Im Laufe der Jahre erlebt er viele Auslandseinsätze. Er hilft in Afrika, Pakistan, der Ukraine, in China und auf den Philippinen. Unterwegs ist er mit einer Gruppe, die aus ganz Süddeutschland kommt, etwa 100 Leute, die alle Positionen abdecken, vom Team-Leader bis zum Elektriker und Arzt. Die Ausrüstung wird zentral gelagert und von dort aus in Flugzeugen zum Einsatzort transportiert. Petryczkas Spezialgebiet betrifft vorwiegend Trinkwasser und Brunnen, aber nicht nur.

Sein erster Einsatz führt ihn im Jahr 2000 nach Kenia. Diese Maßnahme im Auftrag des auswärtigen Amtes soll die Trinkwasserversorgung sichern. Der junge Mann erlebt einen Kulturschock, auf den er nicht vorbereitet ist. Vom Wohlstand in Deutschland, dem behüteten Coburg, plötzlich in einem Land, in dem an jeder Ecke die bittere Armut der Menschen sichtbar ist. „Dieser krasse Gegensatz hat mich erschreckt. Es ist ein Schock“, sagt Petryczka. Die Ehrenamtlichen des THWs reinigen und installieren Brunnen gemeinsam mit einheimischen Helfern. Sie bauen Pumpenhäuschen, um das Wasser zu schützen, und verlegen Zuleitungen zu Tränken, was für die Viehwirtschaft wichtig ist.

Zum Sterben auf Bastmatten

Noch vor Kriegsbeginn ist er siebenmal in der Ukraine im Einsatz. Der THW-Ortsverband Coburg liefert Betten, Matratzen und elektronische Geräte – Ausrüstung für ein Hospiz. „Die Menschen hatten nur Bastmatten auf dem Boden, um zu sterben“, sagt er. Im Jahr 2005 fliegt er nach Sri Lanka, um nach dem Tsunami zu helfen. Nach der Katastrophe reinigt und regeneriert er Schachtbrunnen und bereitet Trinkwasser auf. Der Tsunami hat viele Menschen in den Tod gerissen. Als die Truppe aus Coburg eintrifft, werden die Gräber von der Regierung zur Identifikation der Opfer geöffnet. Die Regierung exhumiert die sterblichen Überreste, um sie den Familien zur Bestattung zu übergeben, damit diese abschließen können. Der Geruch, den der Wind trägt, sitzt Petryczka immer noch in der Nase, obwohl es bereits 20 Jahre her ist.

Zwei Erdbeben

Im selben Jahr wird der Coburger auch in Pakistan, an der Grenze zum Hindukusch vor Islamabad, benötigt. Ein gewaltiges Erdbeben hat das Land erschüttert. Es ist kalt, der Winter steht bevor. Am Einsatzgebiet schlagen die THW-Helfer ihr Zelt auf. Sie sind bereit für ihr Nachtlager. „Plötzlich durchläuft eine Vibrationswelle das Zelt, der Dreck fliegt einen Meter hoch“, erinnert sich Petryczka. Ebenfalls im selben Jahr geschieht es wieder: Die Truppe ist in China in einem Hotel im 12. Stock untergebracht, als plötzlich der Boden wackelt und das Inventar umherfliegt. Ein Kollege fällt aus der Dusche, Petryczka aus dem Türrahmen. „In diesem Moment habe ich versucht, die Situation zu bewältigen.

Wir sind geschult und auf alle möglichen Szenarien vorbereitet“, sagt er. Die Nachbeben dauern nur wenige Sekunden, hinterlassen jedoch bis heute einen Eindruck. Zurück im THW in Coburg rückt ein Kamerad einen Stuhl und es vibriert kurz. „Plötzlich hatte ich ein Flashback und musste mir sagen: Hey, du bist hier in Coburg, dir kann nichts passieren.“

In der Regel dauern die Einsätze etwa vier Wochen, und Petryczka ist froh, wenn er wieder zu Hause – in seinem eigenen Bett – schlafen kann. Diese Tätigkeit erdet den 55-Jährigen. Er lebt bescheiden – und vor allem: er geht sehr sparsam mit Trinkwasser um. Der Einsatz beim Technischen Hilfswerk ist übrigens ehrenamtlich, die Helfer engagieren sich uneigennützig.

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