Titelbild Herzensangelegenheiten

Herzensangelegenheiten #20

Prof. Dr. Johannes Brachmann – In Coburg Zuhause, in der Welt unterwegs.

Er kam 1998 nach Coburg ans Landkrankenhaus. Da war die Kardiologie eine von vielen Abteilungen. Heute verfügt der Regiomed-Klinikverbund am Standort Coburg über ein hochmodernes kardiologisches Zentrum mit innovativem Führungsanspruch in ganz Deutschland und großer Anerkennung darüber hinaus. Ein Aufstieg, der eng mit einem Namen verbunden ist: Professor Dr. Johannes Brachmann, heute ein international renommierter Kardiologe.

Bild Herz als Sinus-Rhytmus

Unwohlsein zum Auftakt

Wenn man mit einem Arzt eine Verabredung hat, ist man in der Regel krank. Selbst, wenn man nur einen Interviewtermin hat. Das Parken, das Eintreten ins Foyer, vorbei an frischoperierten Patienten, die Fahrt im bettengerechten Großraumaufzug, der lange Weg durch tageslichtbefreite Gänge, der spezielle Geruch, das Sitzen im Wartebereich, bis man an der Reihe ist, der Gang an der Empfangsdame vorbei ins Allerheiligste, das Arztzimmer, der weiße Kittel. Man fühlt sich einfach krank. Erst, als der – und das ist respektvoll gemeint – mittlerweile in Ehren leicht ergraute Herr gegenüber dynamisch und mit einem Lachen im Gesicht Kaffee anbietet, entpuppt sich das Unwohlsein als reine Psychosomatik.

Eigentlich lieber Landarzt

Dass er überhaupt hier sitzt, ganz oben im Klinikum Coburg, ist ohnehin Zufall, „mein Weg zum Klinikchef war wirklich nicht absehbar.“ Nicht weil er es nicht verdient hätte, sondern weil er eigentlich überhaupt nicht Mediziner werden wollte. „Aber es gibt in meinem Leben viele dieser Momente, wo es in die eine oder andere Richtung hätte gehen können“. Ein solcher Moment ereignet sich, als Johannes ein junger Mann ist, ein schlimmer Zwischenfall: Sein Bruder stirbt bei einem Unfall. Das gibt Johannes Leben eine Wende. Der junge Mann aus der Kleinstadt Preetz bei Kiel geht nach Heidelberg und studiert Medizin. Er hat großen Respekt vor der Arbeit von Hausärzten, die damals ein hohes Ansehen genossen, die vor Ort für die Menschen, für ihre Sorgen, Nöte, Problem und die vielen Wehwechen da waren und ja auch heute oft noch sind. Dabei hat er nicht das verkitschte Bild moderner TV-Serien vor Augen, nein, er möchte das tun, was ein Arzt tut: helfen. Er möchte Landarzt werden.

Bild Prof. Dr. Johannes Brachmann im Anzug

Jetzt auch im Anzug: Prof. Johannes Brachmann übernimmt die medizinische Geschäftsführung im Klinikverbund Regiomed.

Tausend Tode gestorben

Das ist er in Coburg am ehemaligen Landkrankenhaus ja auch irgendwie, könnte man jetzt scherzen, vorher aber warten noch andere Zufälle und Begegnungen auf ihn: Ein Studienfreund nämlich bietet ihm ein Thema für eine Doktorarbeit an. Er selbst möchte lieber Grundlagenforschung machen. Brachmann schlägt ein – und kommt so überhaupt zur Kardiologie. „Ich bin diesem Freund noch heute wirklich dankbar dafür.“ Auch, weil sein Doktorvater den schüchternen zurückhaltenden Brachmann aufs Podium zwingt, er muss vor anderen reden. „Ich bin beim ersten Mal tausend Tode gestorben, war wahnsinnig aufgeregt, habe geschwitzt. Danach aber war es so, als ob ein Ring aufgegangen ist.“ Mittlerweile hat er weltweit 1000ende an Vorträgen gehalten. „Ohne so ein Schlüsselerlebnis hätte ich meinen Weg nie gehen können.“

Friss oder stirb

Dieser Weg führt ihn zunächst nach Amerika. Er bekommt ein Stipendium für Rhythmusforschung. Es folgen die wie er heute sagt, „besten zwei Jahre meines Lebens.“ Brachmann nämlich landet in einem namenlosen Institut in Oklahoma City, auch das ein Zufall. Vorgesehen nämlich war ein anderes, ein renommiertes Institut. Doch das vermeintliche Ärgernis entpuppt sich bald als Riesenchance. Er trifft auf sehr offene Menschen, auf ein Superteam, alle getrieben von der Begeisterung, etwas aufzubauen, und als der Laborleiter ausfällt, fragt man ihn, ausgerechnet ihn, den einzigen Deutschen im Team, ohne viel Erfahrung, ob er den Job übernehmen kann, „friss oder stirb“, Brachmann überlegt nicht lange, er ergreift die Gelegenheit. Dabei sei er „vom Typ her sehr zurückhaltend gewesen, nicht so zupackend.“ Das klare schnelle pragmatische experimentierfreudige amerikanische Denken aber verändert ihn. Viel hat er damals in Amerika gelernt, Verantwortung zu übernehmen zum Beispiel, Vorträge zu halten, mit Begeisterung etwas vorwärts zu treiben, aus dem Nichts heraus ein namhaftes Zentrum aufzubauen, „der Aufbau der Kardiologie in Coburg erinnert mich immer daran“ und offener mit Menschen umzugehen. Besonders im Gedächtnis bleibt ihm die Begegnungen mit einem Juden, „der nichts mehr mit Deutschen zu tun haben wollte.“ Die beiden wurden Freunde. Alles ist möglich.

Coburg kannte keiner

Ja, er wäre dort geblieben, im damaligen Land der unbegrenzten Möglichkeiten, es „war die beste Zeit in meinem Leben“, wiederholt er noch einmal. Aber aus familiären Gründen geht er nach Deutschland zurück – und auch weil er sich dem Land verpflichtet fühlt, das immerhin das Stipendium ja nicht ganz uneigennützig an Brachmann vergeben hatte. Er also landet wieder in Heidelberg und arbeitet dort von 1981 bis 1998, bekommt eine Professur an der Universitätsklinik Heidelberg. „Ich hatte dort tolle Möglichkeiten“, sagt er rückblickend, um dann doch nach Coburg zu wechseln, in die Provinz. „Das kannten viele gar nicht.“ Und obwohl nicht jeder diesen ungewöhnlichen Karriereknick versteht, nutzt Brachmann seine Chance. „Wir klopfen hier nicht Steine, wir bauen was Besonderes“, sagt er, der viel von seinem Team spricht, das mit großer Begeisterung diesen Weg seit 1998 mitgeht und das aus einer kleinen Abteilung am ehemaligen Landkrankenhaus Coburg ein führendes Zentrum der Kardiologie im jetzigen Klinikverbund Regiomed gemacht hat.

Götter in weiß

Doch sein Weg ist noch nicht zu Ende: neben seiner neuen Verantwortung als „Geschäftsführer Medizin“ im Klinikverbund Regiomed setzt er große Stück auf die Entwicklung der in Coburg ansässigen „Medical School“. Diese eröffnet auch jungen Menschen ohne Topabitur den Weg zum Arzt, weil „nur Noten nicht entscheidend sind, sondern weil wir auch andere brauchen, die helfen wollen, mpathisch sein können“, und vor allem weil das Konzept dem Ärztemangel in der Region den Kampf angesagt hat. Und er bastelt am „Krankenhaus der Zukunft“. Das dürfe nicht nur aus High-Tech bestehen, sondern auch alternative Wege gehen. Medizinisch, kommunikativ. Selbstkritisch. „Götter in weiß war mal.“

Besuch bei einem international anerkannten Kardiologen? Dann muss das sein – ein paar Tipps für Herz, nichts Besonderes, aber man kann es nicht oft genug sagen: Nicht rauchen, Gewicht normal halten, Ausdauersport treiben, gut und gesund (mediterran) essen, keine verarbeitete Kost.

Oder nach Sokrates leben: „Trink weniger, iss weniger, dann sparst Du Geld, es geht Dir besser und Du lebst länger.“ Und noch ein Tipp: Kaffee in Maßen ist gesund und hilft gegen Demenz. Alkohol nur in kleinen Mengen. Und vor allem: Geistig flexibel bleiben.

Autor: Wolfram Hegen

Bildquelle: Julian Uebe

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