… der Gurken-Alex
Sein ganzes Leben hat Alexander Otto an diesem Ort verbracht. Es ist sein Geburts- und sein Sterbehaus. 75 Jahre alt ist er geworden, das Coburger Original. Moment – auf der Gedenktafel am Haus im Steinweglein 1 steht doch 1884 – 1984. Dann wäre er ja 100 Jahre alt gewesen, als er starb. Stimmt aber nicht. Die Gedenktafel wurde schlicht im Jahr der 100. Wiederkehr seines Geburtstages gestiftet und aufgehängt. Seitdem hält sich hartnäckig die Mär, dass hier ein Hundertjähriger wohnte. Selbst die täglich vorbei flanierenden Touristengruppen sind davon überzeugt.
Aber egal, wie alt er geworden ist, eine kleine Berühmtheit war er schon zu Lebzeiten. Vielen Coburgern eher geläufig als Gurken Alex, der von dem Brunnen vor der Eisdiele in der Herrngasse. So unterhaltsam und redegewandt dieses Original auch gewesen ist, ein unbeschwertes Leben hat er nicht geführt. Seine Mutter war Schulfrau in der Alexandrinenschule. So konnte sich der kleine Alexander jederzeit Bücher aus der Bibliothek ausleihen.
Und er blieb seinem Interesse treu und absolvierte eine Buchbinderlehre in der Judengasse. Die Arbeitslosigkeit nach dem ersten Weltkrieg trieb ihn im Alter von 25 Jahren jedoch dazu, in den ambulanten Handel einzusteigen. Das klingt besser, als es in Wirklichkeit war. Er wurde Hausierer. Schnürsenkel, Rasierklingen, Wunderkerzen und Schokolade trug er in einem kleinen Köfferchen von Haus zu Haus und versuchte, alles an den Mann zu bringen. Ein eher armseliges Leben. Im Sommer tauschte er sein Köfferchen mit einem Gurkenfass und einer Holzzange und zog über die Kirchweihfeste der Gegend. „Kümmerlinge, Kümmerlinge!“ aus der Konservenfabrik Emmerling in Neuses pries der Alex dann an.
Dieses Zubrot brachte ihm in der Bevölkerung den Spitznamen „Gurken-Alex“ ein. Wirklich zu Ruhm aber brachte es Otto aber aufgrund seines Talents, fantasievolle, unterhaltsame und witzige Stegreifreden zu halten. Für jeden Käufer hatte er stets einen launigen Vers parat und reimte auch auf Wetterlagen, politische Ereignisse und Coburger Stadtgeschichten. Auch in den Kneipen tauchte der Alex auf und war jederzeit für ein kleines Trinkgeld bereit, seine gereimten Weisheiten auf die schmunzelnden Biertrinker loszulassen.
Augenzwinkernd nannte er sich in bestem Behördendeutsch dabei selbst einen „Obersachverständigen für metereologisch-astrologisch- atmosphärische Kalt- und Heißluftstrahlungszusammenhänge“. Eine lustige
Erscheinung war er schon aufgrund seiner geringen Körpergröße und den stets viel zu großen Schuhen und Kleidern. Aber man kann sich vorstellen, dass das nicht immer ein lustiges Leben gewesen sein kann, auf diese mühsame Weise seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Zeitgenossen sagen ihm jedoch nach, dass er trotz aller Widrigkeiten des Lebens seinen Humor nie verloren hat.
Schlagfertig bis zum Schluss soll er gewesen sein, bis er in ärmlichen Verhältnissen am 23. März 1960 im Steinweglein 1 verstarb. Eine letzte Ehre erwiesen ihm die Coburger auf seiner Beerdigung mit ihrem zahlreichen Erscheinen. Bürgermeister Reichenbacher höchstselbst hielt eine Trauerrede. So ist der Gurken Alex bis heute unvergessen. Erst recht aufgrund des besagten Brunnens und der Steintafel an seinem Geburtshaus, welches die Narrhalla im Gedenken an das Coburger Original errichten ließ.
Die jetzige Besitzerin, die mit ihrem Mann in dem kleinen, mittlerweile rostroten Gebäude auf drei Etagen wohnt, genießt diese Sommertage auf der Terrasse hinter dem Haus. Gemeinsam mit ihrem Hund sitzen die beiden dann gemütlich auf der alten Stadtmauer und hören den Brunnen am Albertsplatz plätschern. Und die vorbeikommenden Touristenführer, die vor der Gedenktafel anhalten, entlocken den beiden höchstens ein kleines Schmunzeln.