… früher Flüchtlinge
Man schreibt das Jahr 1857, als der Magistrat der Stadt Coburg erkannte, dass nicht mehr nur ausschließlich Jungen aus wohlhabenden Familien in den Genuss von Bildung kommen dürfen. Die schulische Ausbildung von Mädchen hatte zu Mitte des 19. Jahrhunderts keinen großen Stellenwert. Zu aufrechten Christenmenschen sollten sie erzogen werden, die einem den Haushalt führen und Kinder großziehen können. So das Ideal. Immer wieder mussten die Mädchen in anderen Räumen als der Ratsschule unterrichtet werden. Es war schlicht kein Platz für sie. Selbst der Befehl von Herzog Ernst II, die Schülerinnen in der Spitalschule zu unterrichten, konnte nicht problemlos umgesetzt werden. Das Gebäude platzte aus allen Nähten. Die Lehrer unterrichteten schon in Schichten. Eine Klasse am Vormittag, eine am Nachmittag. Und die Schülerzahlen stiegen weiter. Ein Neubau musste also her. Die Lutherschule am Albertsplatz.
Nach zähem Suchen fand der damalige Bürgermeister Oberländer am Schweinemarkt beim Zinkenwehr ein passendes Grundstück. Die vorhandenen Ställe wurden kurzerhand abgerissen. Auf den Einwand der Schulkommission, die Schule läge zu weit außerhalb des Stadtkerns, wurde nicht näher eingegangen. Und auch die Anmerkung, dass die Kommission bezüglich des offenen Pausengeländes Bedenken hat, dass hier tatsächlich „fromme, der Bürgerschaft zur Ehre gereichende“ Kinder erzogen werden könnten, wurde verworfen. Der Bau der ersten Mädchenschule in Coburg konnte beginnen. Stadtbaumeister Julius Martinet oblag die Bauleitung. Zuvor hatte der Herzog höchstpersönlich noch in die Fassadengestaltung eingegriffen. Er fand nämlich, dass am Albertsplatz „einem Gebäude im altteutschen Baustil unbedingt und entschieden der Vorzug zu geben sei“.
Nach zweieinhalbjähriger Bauzeit konnte das Schulgebäude im August 1862 feierlich eingeweiht werden. Die Bauzeit hatte sich immer wieder verlängert, weil die Kosten in die Höhe schnellten. Aufgrund der vorherrschenden Bauwütigkeit dieser Jahre wurde zum einen das Material knapp. Auf der anderen Seite war der Baugrund wegen vielfältiger Aufschüttungen und dem sumpfigen Untergrund nicht so stabil wie gedacht. Im Eröffnungsjahr registrierte die Schulchronik 617 Mädchen, neun Lehrer und einen Rektor, dessen Wohnung sich im 2.Stock befand. Bemerkenswert.
So blieb es, bis im Jahr 1903 aus der einstigen Mädchenschule eine Freischule mit einer Mädchen- und einer Knabenabteilung wurde. Die zunehmende Bevölkerungszahl machte dies notwendig. Im Jahre 1936 führte die Lutherschule acht Mädchen und acht Knabenklassen. Natürlich strengstens getrennt, wie es damals noch üblich war. Die Jahrgänge waren so stark, dass sogar Klassen in die Zinkenwehrschule ausgelagert werden mussten. Diese entstand durch den Ausbau einer Scheune, die deswegen von den Coburgern „Stadelschule“ genannt wurde.
In den letzten Kriegsjahren litt das gesamte Schulwesen der Stadt unter den Bombeangriffen. Immer wieder musste der Unterricht wegen Fliegeralarms beendet werden. Am 3.April 1945 schloss die Lutherschule ihre Pforten, genauso wie alle anderen Schulen der Stadt. Niemand ahnte damals, dass das Gebäude auf Jahre hin seiner eigentlichen Bestimmung entfremdet werden sollte. Denn in den Jahren nach Kriegsende hatten die Menschen plötzlich ganz andere Sorgen. Die vielen Flüchtlinge, die aus den Ostgebieten geflohen waren, mussten untergebracht werden. So wurde die Lutherschule aufgrund der Raumnot in diesen Jahren als Massenquartier für Flüchtlinge gebraucht. Alles, was aus Holz und Pappe war, wurde verheizt. Das gesamte Inventar der Schule ging buchstäblich in Flammen auf: Bänke, Schränke, Landkarten und alle Lehrmittel wurden zum Heizen zweckentfremdet. Wie trostlos muss es auf den Fluren und in den Klassenzimmer gewesen sein, als alles Inventar aus der Not heraus vernichtet war.
Erst im September 1947 konnte in einigen Räumen der Lutherschule der Unterricht wieder aufgenommen werden. Natürlich mit spärlichster Ausstattung und eilends herbei geschafftem Mobiliar. Die Kinder werden trotzdem glücklich gewesen sein. Ein bisschen Normalität in den grauen Nachkriegsjahren voller Entbehrungen. Im Gegensatz dazu hat sich das äußere Erscheinungsbild der Schule in all den Jahren kaum verändert. Lediglich der alte Schulhof – heute der belebte Albertsplatz – wurde Ende der fünfziger Jahre zum Parkplatz umfunktioniert. Dafür entstand ein neuer Hof in Richtung Ernstplatz zusammen mit einem neuen Ausgang, der bis heute die Schüler in Richtung wohlverdiente Pause führt. 1973 hatte die Lutherschule als Volksschule ausdient, denn zu dieser Zeit entstand auf der Hut die Melchior-Franck-Schule. Danach zogen für einige Jahre Klassen des Gymnasiums Albertinum an den Albertsplatz 1. Bis heute hat sich diese historische Verbindung erhalten, denn seit zwei Jahren benutzt das Albertinum einen Klassenraum in der Lutherschule für eine 9. Klasse. Und die Schüler verstehen sich gut – in und außerhalb des Schulgebäudes. Trotz des Altersunterschiedes von bis zu zehn Jahren sieht man 9.Klässer einträchtig Tischtennis spielen mit den Grundschülern.
Den historischen und den pädagogischen Wert des klassizistischen Gebäudes am nunmehr neu gestalteten Albertsplatz erkannte der Magistrat der Stadt Ende der achtziger Jahre ein zweites Mal. Mit einer Generalsanierung wurde die Lutherschule auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Damals griffen noch die Fördermittel der Zonenrandförderung. Und so konnte rechtzeitig zum Schuljahr 1988/89 ein modernes Schulgebäude im historischen Ambiente eingeweiht werden. Auch wenn sie in die Jahre gekommen ist, die alte Dame Lutherschule. Bis heute gehen Kinder, Eltern und Lehrer gerne in dieses Gebäude. Die Lutherschule ist bis heute besonders geblieben. Innen und außen.
Autorin: Heidi Schulz-Scheidt
Bildquelle: Sebastian Buff