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HIER WOHNTEN… #32

… GLASER & WEISSGERBER

Wasser hat in diesem Teil der Stadt schon immer eine Rolle gespielt. Direkt am Ufer des Hahnflusses, der sich damals durch die ganze Stadt schlängelte, konnte Horst Carl mit seinen Freunden spielen, wenn er hinunter in den Hof ging. So manches Schiffchen wurde zu Wasser gelassen. So manches Hochwasser hat man erlebt. Bis dieser Seitenarm der Itz Anfang der siebziger Jahre verrohrt wurde. Dann war es auf einmal weg, das Wasser in der Mühlgasse.

Mit der Verrohrung des Hahnflusses fehlte auch den restlichen Stadtmühlen das notwendige Wasser. Somit stellte die letzte in der Badergasse im Jahre 1970 ihre Arbeit ein. Gerade die Mühlgasse und die direkt angrenzende Walkmühlgasse blicken auf eine bewegte Geschichte zurück. Denn vom 15. bis ins 19.Jahrhundert hinein bearbeiteten hier Handwerksleute mit Hilfe der Mühlen ihre Stoffe. Das Haus mit der Nummer 15 war so eine Walkmühle und diente der Verdichtung von Stoffen, um daraus feines Tuch herzustellen. Sieht man genauer hin, erkennt man den quer stehenden Mühlenanbau gegenüber dem Fischgeschäft auch heute noch. Diese erste Mechanisierung ersetzte das viel aufwändigere Walken mit den Füßen.

Auch die Weißgerber nahmen zur Bearbeitung ihrer Tierhäute die Mühlenkraft in Anspruch. Durch das Bleichen mit Alaun und Kochsalz entstanden aus den Schafs- und Kalbsfellen vor allem feine Lederwaren wie Damenhandschuhe, Beutel und Etuis. 1868 war Schluss mit der Mahlmühle und das Gebäude wurde zur Schleifmühle für Werkzeuge umgebaut. 50 Jahre ist es etwa her, seit der Hahnfluss hier verrohrt wurde und das Wasser unterirdisch abläuft , wie Horst Carl sich erinnert.

Wie viele Coburger machte auch die Familie Carl an Weihnachten 1967 Bekanntschaft mit viel zu viel Wasser in der Innenstadt. Als im Dezember nach langanhaltenden Schneefällen ein Wärmeeinbruch kam und die Temperaturen anstiegen, schmolz in Thüringen der Schnee und die ließ die Flüsse anschwellen. Hochwasserschutz gab es noch keinen und so waren die Gewässer in der Stadt nicht imstande, die Unmengen abzuführen, die die Schneeschmelze mit sich brachte. Und so kam es, dass auch in der Mühlgasse 8 am Weihnachtsmorgen das Wasser bis in der Hofeinfahrt stand. Horst Carl erinnert sich noch, wie sein Nachbar von gegenüber in sein Paddelboot stieg und einen kleinen Ausflug durch die Löwenstraße bis zum Bahnhof machte – mit dem Paddelboot. Dieses Weihnachtshochwasser, so erkannte man im Nachhinein, brach alle Wasserstandsrekorde. In der Raststraße stand es bis zu einem Meter hoch. Bemerkenswert. Auch der Strom fiel für viele Stunden aus und so mancher betagte Coburger ließ sich damals vom Bundesgrenzschutz in einem Panzerspähwagen aus lauter Angst evakuieren. Dabei hatten die Menschen in der Mühlgasse noch Glück im Unglück. Das entstehende HUK Parkhaus in Bahnhofsnähe war zu diesem Zeitpunkt nur eine riesige Baugrube und nahm eine große Menge des Wassers auf natürliche Weise auf.

Die Werkstatt der Glaserei Carl wurde damals nicht in Mitleidenschaft gezogen. Jahrzehnte lang noch fertigten hier bis zu fünf Angestellte Fenster, Verglasungen und Bildereinrahmungen. Jeder an seiner eigenen Hobelbank. Erst im Alter von 72 Jahren ging Horst Carl 2015 in den Ruhestand. Heute dient die alte Werkstatt dem neuen Besitzer Mathias Wichtrey als Lager für seine Firma. Der Inneneinrichter hat in Eigenregie in der Mühlgasse 8 ein hübsches Wohnhaus mitten in der Stadt geschaffen. Auf drei Stockwerken wird hier gewohnt. Auch die Eltern des Besitzers fanden ein neues Zuhause und genießen die zentrale Lage und – als neueste Errungenschaft – eine Holzterrasse zwischen der ehemaligen Hofeinfahrt. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang lässt es sich hier wunderbar ruhig sitzen. Mitten in der Stadt.

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