… SCHMETTERLINGE UND HECKENVÖGEL
Ein Schicksal wie der Hindenburgstraße oder der Mohrenstraße wird ihr sicherlich erspart bleiben. Nichts Anrüchiges oder Inkorrektes haftet dieser Straße an. Und so darf sie bleiben, was sie ist. Eine hübsche städtische Durchgangsstraße mit vielen Einzeldenkmälern und villenartigen Bürgerhäusern.
von Heidi Schulz-Scheidt
Fotos: Val Thoermer
Die Löwenstraße verdankt ihren Namen dem Meißener Löwen. Das Wappentier der Wettiner hat es auf viele Wappen von Städten und Gemeinden hierzulande geschafft. Gilt es doch als tatkräftiges und wehrhaftes Herrschaftssymbol. Im Zuge der westlichen Stadterweiterung in den 1890er Jahren angelegt war sie aber nicht immer eine repräsentative Prachtstraße. Eher ein ausgetretener Feldweg durch idyllisches Wiesengelände, eingerahmt von Hecken und hohen Bäumen. Eine natürliche Grünanlage mit Wasserlauf vor den Toren der Stadt. Entlang des ehemaligen Lautergrabens standen auch einzelne Mühlen. Handwerker siedelten sich an. Die Mühlgasse zeugt mit ihrem Namen noch heute von diesem Gewerk.
Dort wo sich also heute die Löwenstraße erstreckt, floss einst der Lautergraben in Richtung heutige Rückertschule, bis er sich gemeinsam mit dem Hahnfluss bei der Judenbrücke in die Itz ergoss. Die letzte Müllerfamilie, die mit Hilfe dieses Wassers Getreide zu Mehl verarbeitete, waren die Roschlaus. Für 18000 Gulden verkaufte Georg Roschlau seinen Besitz im Jahre 1873 an den Magistrat der Stadt. Sah die Stadtführung in dem Gebiet am Lautergraben mit der Nähe zum Bahnhof doch einiges Entwicklungspotential. Dazu musste der Graben jedoch zugeschüttet werden. Vorbei war es mit der Wiesenidylle. Die Moderne hielt Einzug. Im Anschluss daran entstand die sogenannte Bahnhofsvorstadt – also das Gebiet Hindenburgstraße, Seifartshof- und Löwenstraße. Und erst 1925 erfolgte der Ausbau zu einer Straße, auf der man halbwegs trockenen Fußes in die Stadt gelangen konnte.
Eine erwähnenswerte Geschichte findet man in der kleinen Grünanlage am Ende der Löwenstraße hinter der Löwenschule. Löwenschule? Ja, die 1890 eingeweihte Knabenschule, heute Rückertschule, hatte zu ihrer Gründung einen anderen Namen. Heute wartet neben dem ehemaligen Alexandrinenbad ein kleiner Blumengeschmückter Park auf Besucher: Die Alfred-Sauerteig-Anlage. Wenige Coburger werden den kommissarischen Oberbürgermeister noch gekannt haben, denn er verstarb 1961. Und es liegt auch sicher nicht daran, dass Alfred Sauerteig nur ganze 32 Tage das Amt innehatte. Denn es waren sehr entscheidende Tage. Der Kommunalpolitiker unterzeichnete im April 1945 die Kapitulationsurkunde und bewahrte die Stadt damit vor einer möglichen Zerstörung durch amerikanische Truppen. Sauerteig vertrat als Stadtamtmann den damaligen NS-Oberbürgermeister Greim, der sich aufgrund der hoffnungslosen Lage der Stadt am 9. April 1945 einfach aus dem Staub gemacht hatte. Die amerikanischen Truppen waren bereits auf dem Vormarsch. Luftangriffe und Bombardements gehörten zum Alltag der letzten Kriegstage. Trotz des Führerbefehls, dass die Stadt „bis zum letzten Mann“ verteidigt werden müsste, entschloss sich Sauerteig zur Kapitulation. Und rettete seine Heimatstadt vor der Zerstörung. Daraufhin setzten ihn die Amerikaner als kommissarischen Oberbürgermeister ein. Als jedoch im Mai 1945 bekannt wurde, dass Sauerteig Mitglied der Nationalsozialisten war, endete diese kurze Amtszeit bereits nach 32 Tagen. Alfred Sauerteig wurde in den Ruhestand versetzt.
Dennoch dankten die Bürger dieser Stadt einem vorausschauenden Kommunalpolitiker und errichteten ihm zu Ehren diese Grünanlage in den achtziger Jahren. Eine Anekdote am Rande ist, dass Sauerteig es auch war, der den Coburger Mohr als Stadtwappen wieder einsetzte, nachdem dieser von den Nationalsozialisten ersetzt worden war. Ersetzt durch das sogenannte „Coburger Abzeichen“, einen SA-Dolch mit Hakenkreuz im Knauf. Ob Greim aus rassenideologischen Gründen das Stadtwappen ersetzt hatte? Oder weil er die Bedeutung der Stadt für die frühen Jahre der NS-Bewegung unterstreichen wollte? Tatsache ist, dass Entscheidungen in der Vergangenheit immer auch Konsequenzen ins Jetzt haben können. Egal, ob ein Graben zugeschüttet wurde oder ein Kommunalpolitiker einfach mal sein Herz in die Hand nahm.
Häuser, die mit Unterstützung der Gemeinschaft Stadtbild Coburg e.V. saniert worden sind – der COBURGER stellt sie vor: 2021 in jeder Ausgabe des COBURGER eines in unserer Reihe „Hier wohnte“.