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In die Zukunft zurück #30

Die Geschichte von Sabrina Kerscher

Weg aus der Provinz, hinaus in die große Welt, nur nicht erzählen, wo man herkommt, und auf jeden Fall nie mehr zurückkommen: Noch vor wenigen Jahren galt die eigene Heimat als uncool. Die Metropolen dieser Welt lockten, schillernd, urban, lebendig. Mittlerweile aber zieht es viele doch wieder nach Hause – auch die vermeintliche Provinz hat schließlich ihre Reize.

Wir treffen uns in Coburg in einem Café am Markt, Sabrina hat ihren 14 Wochen alten Labrador Marly dabei, „quasi unser Therapiehund“, lacht sie, so ein Tier mache den Wechsel aus der Metropol­region München ins beschaulichere Coburg für die drei Töchter etwas leichter, und dank des knuffigen Wollknäuels auf Sabrinas Arm blicken wir dann auf dem Weg zu unserem Tisch auch nur in freund­liche Gesichter, vielleicht ist es das, was Sabrina meint, wenn sie sagt, man sei in Coburg so herzlich empfangen worden, es sei so „krass, wie nett die Leute hier sind.“

Tolle Zeit beim Film

Dabei kommt sie ja hierher, hier aus der Region Coburg, genauer aus Neustadt, war dort am Gymnasium, ging dann aber weg, so wie viele es in jungen Jahren tun, beginnt ein Lehramtsstudium in Bamberg, auch die Domstadt aber erscheint ihr irgendwann zu klein, zu langweilig, Hamburg oder München locken, sie bekommt ein Praktikum bei einer Filmproduktion in München. Die bayerische Landeshauptstadt wird ihr neues Zuhause, spätestens als sie fest beim Film arbeitet, „eine tolle Zeit, das hat viel Spaß gemacht.“ Sie genießt die Großstadt, das Leben. Und sie lernt damals ihren späteren Mann kennen, sie bekommen ihr erstes Kind.

Vernünftig werden

Eine Zäsur, es heißt Verantwortung zu übernehmen, „endlich vernünftig zu werden“. Sabrina schließt ihr Lehramtsstudium doch noch ab, um einen Berufsabschluss zu haben, einer geregelten Arbeit nachgehen zu können, als Lehrerin Geld zu verdienen, immerhin kommt schon zwei Jahre später die zweite Tochter auf die Welt. Die kleine Familie zieht vor die Tore Münchens nach Erding. Als sich aber ein paar Jahre später die dritte Tochter ankündigt, beschließt Sabrina Kerscher komplett daheim zu bleiben, geht in Elternzeit, drei Kinder sind Arbeit genug.

Spitzname aus der Jugend

Doch auch die sind bald große Teile des Tages in Schule und Hort unterbracht, eine Teilzeitstelle an der Schule nicht frei, also folgt der nächste Wendepunkt in ihrem Leben: der Schritt in die Selbständigkeit. Sabrina näht schon immer, für ihre Kinder, Familie, Freunde, sich selbst, mit eigenen Ideen, eigenen Schnitten. Aus dieser Leidenschaft macht sie einen Beruf. „Im Hinterkopf war eigentlich immer der Traum vom eigenen Geschäft.“ 2014 ist es soweit, am Rande der Erdinger Innenstadt eröffnet „Brinarina“, der Name ist schon so etwas wie eine Hinwendung zu ihrer Jugend im Coburger Land: Es ist seit damals ihr Spitzname.

Erfolg auch als Bloggerin

Sie gibt Nähkurse, designt Stoffe für Großhändler, verkauft Selbst­genähtes im Laden und im Internet, macht sich einen Namen als Bloggerin mit heute 4000 Followern, die sie mit ihren ganz persönlichen Geschichten begeistert. Ein Jahr arbeitet sie noch parallel dazu in der Schule, gibt den Lehrerberuf aber schon bald auf, die Belastung mit Familie und zwei Jobs ist zu viel. Außerdem läuft das Geschäft zunehmend besser, Erding wird zum Zuhause, die Familie ist integriert, die beiden großen Töchter gehen zur Schule, die kleine Tochter ist im Kindergarten, also „eigentlich ging es uns richtig gut.“

In ein Haus verliebt

Ihr Mann aber ist in seinem Beruf viel unterwegs, zu viel vielleicht, er möchte gerne näher an der Familie sein, außerdem ist ihr Reihenmittelhaus zwar schön, „die Nachbarschaft toll“, aber „du musst in München halt wahnsinnig viel arbeiten, um das bezahlen zu können.“ Ein Ortswechsel also steht an und die Welt ihnen offen, „wir hatten über verschiedene Orte gesprochen in Deutschland und auch im Ausland, ich habe ab und zu mal Coburg fallen lassen, aber da gab es keine Reaktion.“ Ihr Mann aber bewirbt sich in Coburg und fährt irgendwann einmal auf eigene Faust in die Vestestadt, um sich ein mögliches Haus anzuschauen. „Und in das hat er sich dann so verliebt, dass klar war, wir gehen nach Coburg.“ Schnell wird der Kaufvertrag für das Haus unterschrieben, der Mann findet eine gute Position als Niederlassungsleiter in Bamberg, auch die anfangs „gar nicht begeisterten Kinder“ machen nach einem Besuch in Coburg schnell ihren Frieden, die Stadt gefällt den heute 13-, 11- und sechsjährigen Mädchen, außerdem „kostet die Kugel Eis ja nur die Hälfte“.

Neuer Laden in Herrngasse

Sabrina verkauft den Laden in Erding an eine Mitarbeiterin. Ob sie in Coburg weitermacht, weiß sie da noch nicht. Vielleicht lieber in einer Werbeagentur arbeiten, auch eine Möglichkeit, denkt sie. Dann aber sieht sie leerstehendes Ladengeschäft in der Herrngasse in Coburg – das neue Zuhause für „Brinarina“. Im November war Eröffnung, Stoffe, Geschenke, Nähkurse, sie hat ihr Erdinger Leben mit nach Coburg genommen. „Früher war es irgendwie komisch, wen man erzählt hat, dass man aus Coburg kommt, da kannte es ja keiner, das ist heute ganz anders, jeder findet es cool, dem wir es erzählt haben.“ Sabrinas Zukunft und die ihrer Familie also liegen jetzt in ihrer Vergangenheit. In Coburg, dem sie vor schon bald 20 Jahren den Rücken gekehrt hat. In ihrem Haus fühlen sie sich wohl, die Wege sind kurz, die Preise bezahlbar, der Laden ist gut angelaufen, Schule und neue Freunde für die Kinder sind schnell gefunden, die Aufnahme war herzlich, und „außerdem ist die Familie in der Nähe“, lacht sie.

von Wolfram Hegen
Foto: Val Thoermer

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