Sonderthema Fantasie: Wenn Gedanken zu Melodien werden #64

Andreas Wolff und seine musikalische Reise

Fantasie beflügelt uns, lässt uns träumen, Ideen schmieden und kreativ sein. Ohne Fantasie wäre unsere Welt grau und trist. Andreas Wolff verwandelt seine Fantasie in Kompositionen.

Ein Sommertag in London: Andreas Wolff sitzt an seinem gewohnten Platz vor der Tate Modern Art Gallery an der Millennium Bridge am Südufer der Themse und spielt Klavier. Die Sonne versinkt am Horizont und färbt den Himmel glutrot. An einem anderen Tag trifft Wolff zufällig eine Frau. Sie laufen ein Stück gemeinsam zur U-Bahn und unterhalten sich tiefgründig. Ein weiteres Mal lernt Wolff einen irischen Straßenmusiker kennen; beide trinken gemeinsam einen Tee. Es sind die scheinbar alltäglichen Dinge, die der Coburger in Melodien verwandelt. Es sind Melodien, die tief berühren und ins Herz treffen.

Andreas Wolff ist ein bemerkenswerter Mann. Er komponiert Musik gefühlvoll und atmosphärisch. Seine Inspirationen sind scheinbar alltägliche Dinge und natürlich die Liebe. „Ein Großteil meiner Stücke entsteht durch Improvisation“, erzählt er. Er sitzt am Klavier, wird auf etwas aufmerksam, empfindet es als interessant. Vor einiger Zeit entstand etwa eine kleine Notenfolge mit nur drei Noten, nichts Weltbewegendes, aber eine Harmonie, die sich für den Künstler sofort heimelig anfühlt. „Ich habe das gespielt und gedacht, ja, jetzt bin ich zu Hause.“ Das fertige Stück trägt den Titel „Home“. Momente wie die Begegnung mit dem irischen Straßenmusiker fängt Wolff ein. Er komponiert eine freudig-bewegte Musik, die er dem Freund widmet. Der Sonnenuntergang in London beginnt hingegen ruhig und meditativ. Musikalischer Spätzünder In seiner Kindheit kommt Wolff kaum mit Musik in Berührung. Jahre später tritt er als DJ auf. In der elften Klasse im Gymnasium Casimirianum besucht er gemeinsam mit einer Komponistin und Pianistin eine Schulklasse. Am Ende des Schuljahres fragt er sie nach einer Klavierstunde. Zum ersten Mal sitzt der Schüler an einem richtigen Klavier.

„Da war es wirklich sofort um mich geschehen, das war das, wonach ich sehr lange gesucht habe.“

Mit der ersten Klavierstunde kommt der musikalische Stein ins Rollen. Wolff legt zu dieser Zeit elektronische Tanzmusik auf – Elemente, die übrigens in seine klassischen Kompositionen einfließen. Man hört ihn im Web-Radio, in Clubs und bei Großveranstaltungen. Auf der Bühne fühlt er sich wohl, deshalb denkt er darüber nach, Vollzeit als DJ zu arbeiten. Doch er spürt, dass ihm das Klavierspielen viel mehr Spaß bereitet als das Produzieren elektronischer Musik. So baut er das Klavierspielen aus und lernt autodidaktisch, mithilfe von YouTube-Tutorials Noten und Tastenfolgen, spielt und arrangiert Cover-Songs.

Nach dem Abitur studiert er zunächst Medientechnologie, merkt aber schnell, dass das nichts für ihn ist. Er möchte Musik komponieren und Klavier spielen, und er verfolgt dieses Ziel ambitioniert. Zunächst lernt er an der Berufsfachschule für Musik in Kronach das nötige Handwerk. Sein Ziel ist es, an der Musikhochschule in Weimar zu studieren. Das weckt seinen Ehrgeiz.

Mit klassischem Klavierunterricht, bei dem er nun auch ein Repertoire wie Haydn und Bach lernt, bereitet er sich auf sein Studium vor. Er setzt sich erstmals auch mit barocken Choralsätzen auseinander, sammelt Ideen und veröffentlicht seine erste eigene CD: „Alone in the Wild“ ist für Freunde und Familie gedacht. Es geht um jemanden, der seinen Alltag hinter sich lässt, um sich auf eine Reise in die Natur zu begeben. „Ein Kapitel davon erzählt von einem herannahenden Gewitter, das düster beginnt, sich jedoch wie in einem Märchenwald auflöst“, erzählt er.

Wahnsinnig schöne Zeit in London

Als er bei einer Vernissage auftritt, fällt ein entscheidender Satz: Ein Künstler aus Kronach rät Wolff, er solle seine Musik in die Welt tragen. Es fällt der Groschen. Der junge Pianist nutzt die Sommerferien, noch bevor das Studium in Weimar beginnt, und tourt durch Europa. Die musikalische Reise beginnt in seiner Heimatstadt auf dem Coburger Marktplatz, führt weiter nach Frankfurt und dann Richtung England. In London erlebt er eine „wahnsinnig schöne“ Zeit. Die reiche Szene der Straßenmusikkultur begeistert ihn. Hier fühlt er sich zu Hause. Bis heute bestehen Freundschaften mit Künstlern, die er in London getroffen hat.

Einmal sitzt er wieder am Südufer der Themse und spielt Klavier. Ein junger Regisseur aus Wales hört zu und ist beeindruckt. Kontakte werden ausgetauscht. Einige Zeit später erhält Wolff Post. Der walisische Regisseur möchte Wolffs Musik für die Produktion eines Kurzfilms nutzen. Die Idee ist, einen Flügel in den Wald zu bringen und einen Film zu drehen. „Krass“, denkt sich der Coburger, aber er ist auch skeptisch.

„Es gibt viele Menschen, die einen bei der Straßenmusik ansprechen und sich dann nie wieder melden.“

Also nimmt er sich vor, sich nicht allzu sehr zu freuen. Die Pandemie wütet, einige Wochen streichen ins Land, doch dann ruft der Regisseur tatsächlich an. Das Drehbuch sei fertig, sagt er. Es erzählt von einer mystischen Geschichte von zwei Füchsen im Wald. Wolff soll der musikalische Geschichtenerzähler am Flügel sein. Der Coburger kann es fast nicht glauben. Aber als der walisische Regisseur ein Foto von einem Flügel schickt, den er explizit für die Dreharbeiten gekauft hat, ist klar: „Der meint es wirklich ernst.“ Der Low-Budget-Film entsteht in nur drei Tagen. Am letzten Drehtag regnet es, was zur Stimmung passt. Es ist kalt. „Die ersten zwei Tage blieb es glücklicherweise trocken, was perfekt für den Film war. Wir hatten wettertechnisch also echt Glück und nur am letzten Tag – als meine Szenen aufgenommen wurden – regnete es, was perfekt für die Story war“, erzählt Wolff. Der Flügel überlebt die Dreharbeiten übrigens nicht. Aber es gibt Grund zur großen Freude: Der Kurzfilm wird bei Filmfestivals gezeigt und räumt mehrere internationale Filmpreise ab. Das Werk mit bescheidenen Mitteln setzt sich gegen teure Produktionen durch.

5694 Kilometer und ein musikalisches Tagebuch

Andreas Wolff hat seine Reise-Eindrücke festgehalten. Anstatt Tagebuch zu schreiben, komponiert er Melodien. Und so entsteht seine zweite CD „Wayfaring“, ein musikalisches Reisetagebuch. Die CD erzählt von Sonnenuntergängen am Südufer der Themse oder Spaziergängen zur U-Bahn: Seine Bekanntschaft und er laufen hin und her: links, rechts, links, rechts. „Die Noten stellen mehr die Schritte dar, die sich ja beim Laufen abwechseln, weniger die Richtung“, erklärt der Künstler. Das ist der Anfang der Komposition „Walk“. 5694 Kilometer hat er zurückgelegt, und „5694“ wird das Titelstück dieses Albums. Zurück in Deutschland – die zweite CD ist produziert – studiert er sieben Jahre in Weimar und produziert sein erstes Album „Mosaic“. Dieses Jahr wird er sein Studium abschließen. Sein Berufswunsch hat sich erfüllt: Seit Januar verdient Andreas Wolff sein Geld als selbstständiger Musiker.

Es beginnt eine aufregende Phase: Er arbeitet an einem neuen Album und betreibt Crowdfunding, da er noch kein Label hat. Er möchte 100-prozentige kreative Freiheit haben und sein Album so produzieren, wie er es möchte. Deswegen wagt er den mutigen Schritt, keine Finanzierung über ein Label, sondern über Crowdfunding. Es funktioniert. Die Kampagne ist inzwischen erfolgreich beendet. Das neue Album wird im kommenden Winter veröffentlicht. Der Name wird noch nicht verraten.

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