Interview
Tobias Wolbring Professor für Zufriedenheitsforschung
„Ein neues Jahr, ein neues Glück!“ beschrieben schon Dichter und Denker den Jahreswechsel. Wer kennt das nicht? Kurz vor Neujahr nehmen wir uns gute Vorsätze vor: Mehr auf die schlanke Linie achten, weniger Alkohol, dafür mehr Wasser trinken und vielleicht wieder regelmäßig ins Fitness-Studio gehen, statt nur den Beitrag zu bezahlen. Gerne wollen wir höher hinaus, etwas noch besser machen, immer mehr erreichen. Doch macht uns das wirklich zufrieden? Sollte das Privileg – nicht ständig mehr zu wollen – ein Teil unseres Lebens sein, den wir uns leisten können und auch leisten wollen? Zufriedensein macht schließlich glücklich. Doch von was hängt diese Lebenseinstellung ab? Prof. Dr. Tobias Wolbring befasst sich beruflich mit Zufriedenheit. Seit 2017 leitet er den Lehrstuhl für Empirische Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Eines seiner Spezialgebiete ist die Lebenszufriedenheitsforschung.
Herr Prof. Wolbring, was gehört dazu, um in unserer Gesellschaft ein zufriedener Mensch zu sein?
Die subjektive Zufriedenheit wird von einer Vielzahl an Faktoren beeinflusst. Entscheidend ist die richtige Mischung: Gesundheit, ein gewisses Mindestmaß an Geld, eine gelingende Beziehung, Freundschaften und auch soziale Anerkennung für die eigenen Leistungen durch andere.
Wir leben in einem sicheren, wohlhabenden Land. Trotzdem scheint es so, als wäre die Mehrzahl der Deutschen eher unzufrieden. Woran liegt das?
Dieser Eindruck täuscht. Ein Großteil der deutschen Bevölkerung gibt auf einer Skala von Null (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden) einen Wert von 7 oder mehr an. Sehr viele Menschen sind also durchaus relativ zufrieden mit ihrem Leben, auch wenn der Rasen auf der anderen Seite des Zauns manchmal noch ein bisschen grüner aussieht.
Sie haben rund um das Thema Zufriedenheit verschiedene Faktoren untersucht. Einer davon ist das Einkommen, das wir beruflich verdienen. Sind Menschen mit höheren Gehältern zufriedener? Macht Geld wirklich glücklich?
Wenn Menschen nur wenig Geld zum Leben zur Verfügung haben, dann steigert jeder zusätzliche Euro spürbar ihre Zufriedenheit. Je höhere Einkommen Menschen jedoch erzielen, umso weniger ist die genaue Höhe des Einkommens von Bedeutung. Dann werden plötzlich andere Dinge viel wichtiger: Habe ich in den vergangenen Jahren eine Gehaltserhöhung erhalten, die mir Wertschätzung durch meine Vorgesetzten signalisiert? Wird mir Vertrauen im Job entgegengebracht und kann ich mich selbst verwirklichen? Und wie schneide ich gehaltstechnisch im Vergleich zu meinen Kolleginnen und Kollegen ab, die ähnliche Aufgaben erledigen?
Welche Formen von Zufriedenheit spielen in Ihrer Forschung eine Rolle?
Die subjektive Lebenszufriedenheit ist ein Konstrukt, das sich auf das Leben im Großen und Ganzen bezieht. Die Frage, wie sich bestimmte Faktoren – wie zum Beispiel das eigene Einkommen – auf die Lebenszufriedenheit auswirken, ist natürlich für sich genommen schon sehr interessant. So habe ich zum Beispiel gemeinsam mit zwei Kollegen gezeigt, dass sich erst eine lange Pendeldistanz zur Arbeit von 80 Kilometern oder mehr negativ auf die Lebenszufriedenheit auswirkt. Bei geringeren Distanzen hatte das Pendeln dagegen keine Effekte. Noch interessanter wird es dann, wenn man sich genauer anschaut, welche Lebensbereiche vom Pendeln so negativ betroffen sind. So empfinden wir, dass lange Pendelwege vor allem auf Kosten der Freizeit gehen und auch die Gesundheit darunter leidet; die Zufriedenheit mit der Familie oder der Wohnsituation sind jedoch überraschenderweise kaum betroffen.
Menschen, die beruflich pendeln müssen, leben häufig in Ballungszentren. Heißt das im Umkehrschluss, dass Menschen in kleinen Städten mit kurzen Wegen zufriedener leben?
Ja, im Prinzip könnte man so argumentieren, denn die Pendelzeit zur Arbeit hat sich in den Ballungsräumen in den vergangenen Jahren aufgrund der steigenden Mietkosten und der überlasteten Verkehrsinfrastruktur deutlich erhöht. Man muss aber natürlich auch bedenken, dass es weitere Unterschiede zwischen Kleinstädten und Ballungsräumen gibt, zum Beispiel sind die Einkommens- und Beschäftigungschancen in Ballungsräumen besser oder der öffentliche Nahverkehr ist stärker ausgebaut.
Ein Lottogewinn, eine Trennung oder eine Gehaltserhöhung: Steigern oder mindern solche Einschnitte im Leben dauerhaft die Zufriedenheit? Führen Gewohnheitseffekte zu weniger Zufriedenheit im Leben?
Relativ viele Forschungsarbeiten zeigen, dass kritische Lebensereignisse – wie eine Trennung oder der Verlust des Arbeitsplatzes – sich zunächst spürbar auf die Lebenszufriedenheit auswirken. Nach rund drei bis fünf Jahren sind diese Effekte aber meist wieder verschwunden – die Menschen arrangieren sich häufig mit ihrer neuen Situation und erreichen nach einigen Jahren wieder ihr ursprüngliches Zufriedenheitsniveau. Das gilt übrigens nicht nur für negative, sondern auch für positive Ereignisse wie die Geburt eines Kindes oder einen Lottogewinn. Wenn man sich überlegt, wie intensiv solche Lebensereignisse in dem entsprechenden Moment erlebt werden, ist das durchaus bemerkenswert.
Werden wir mit zunehmendem Alter zufriedener oder eher genügsamer?
Natürlich hängt die Lebenszufriedenheit auch mit der eigenen Einstellung zum Leben zusammen und vermutlich hat unser zukünftiges Selbst nicht mehr den gleichen Blick auf die Welt wie wir ihn noch heute haben. Die Forschung hat allerdings gezeigt, dass es keinen deutlichen Zusammenhang zwischen Alter und Lebenszufriedenheit gibt; schon gar nicht ist die viel diskutierte Midlife-Crisis in den Daten zu erkennen. Erst wenn gesundheitliche Probleme im hohen Alter deutlich zunehmen, nimmt die Lebenszufriedenheit mit jedem weiteren Jahr ziemlich stark ab. Das ist aber kein Effekt des Alters, sondern eben der eigenen Gesundheit.
Herr Wolbring, sind Sie ein zufriedener Mensch?
Ja, auf jeden Fall. Das Charmante an der Lebenszufriedenheitsforschung ist ja, dass man dadurch auch selbst lernt, auf was es im Leben ankommt und was einen zufrieden macht. Das relativiert vieles, was uns sonst im Alltag immer so wichtig erscheint und uns von Termin zu Termin hetzen lässt. Und erfreulicherweise liegt unsere Zufriedenheit doch auch zu einem Gutteil in unserer eigenen Hand. So zahlt es sich aus, eine positive und optimistische Einstellung zum Leben zu haben und bei den kleineren alltäglichen Ärgernissen etwas mehr Gelassenheit an den Tag zu legen.
„Je höhere Einkommen Menschen erzielen, umso weniger ist die genaue Höhe des Einkommens von Bedeutung.“
Lebenslauf Tobias Wolbring
Tobias Wolbring (Jahrgang 1982) studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und erwarb 2007 ein Diplom in Soziologie (Nebenfächer: Volkswirtschaftslehre, Sozialpsychologie). Er promovierte dort mit “summa cum laude” in Soziologie (Nebenfach Volkswirtschaftslehre). Nach Stationen in München, Zürich und Mannheim übernahm Prof. Wolbring 2017 die Leitung des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Alexander Universität.
In seiner Forschung beschäftigt er sich nicht nur mit sozialen Normen, Dynamiken und Ungleichheiten in Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch mit Einflussfaktoren auf das subjektive Wohlbefinden. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Analytische Soziologie, empirische Bildungs-/Hochschul-/Wissenschaftsforschung, Lebenszufriedenheitsforschung, Methoden der empirischen Sozialforschung, soziale Ungleichheit, soziale Normen & Devianz und Wirtschaftssoziologie.
Der Wissenschaftler erhielt 2014 den Dissertationspreis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), im gleichen Jahr den Anatol-Rapoport-Preis der DGS-Sektion “Modellbildung und Simulation” und 2017 den Robert K. Merton Preis des International Network of Analytical Sociology.
„Unsere eigene Zufriedenheit liegt zu einem großen Teil in unserer eigenen Hand. So zahlt es sich aus, eine positive und optimistische Einstellung zum Leben zu haben und bei den kleineren alltäglichen Ärgernissen etwas mehr Gelassenheit an den Tag zu legen.“
Das Interview führte Iris Kroon-Lottes