Zeit des Abschieds #47

Martina Walz ist Trauerrednerin

Von Gabi Arnold | Fotos: Val Thoermer

Wir haben Platz genommen auf einer Bank am Coburger Stadtfriedhof. Es ist ein stimmungsvoller Ort für eine wunderbare Begegnung. Martina Walz strahlt Ruhe und Wärme aus, und sie hört aufmerksam zu. Das sind auch die Eigenschaften, die in ihrem Beruf helfen. Martina Walz ist Trauerrednerin, sie widmet sich den Verstorbenen und ihren Angehörigen, und das mit Einfühlungsvermögen und Herzblut.

Zu ihrem Beruf kam die 59-Jährige über Umwege, sie durchlief einige Lebensstationen. Martina Walz, gebürtige Ulmerin, absolviert nach der Schule eine klassische Karriere im Einzelhandel. Berufl iche Gründe sind es, weswegen sie und ihr Partner 1987 ihren Wohnsitz in die Coburger Region verlegen. Anfangs sind beide skeptisch. „Wir haben uns gefragt, wo genau Coburg eigentlich liegt und festgestellt, dass die Stadt von drei Seiten von der DDR umgeben ist. Wir waren überrascht, dass man da sogar studieren kann“, erinnert sie sich. Die Entscheidung fällt, Martina Walz übernimmt die Geschäft sleitung eines Coburger Modegeschäft es, ihr Partner Reiner studiert Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule. Im Dezember 1990 heiraten Martina und Reiner Walz und kaufen ein Haus in Meeder, damals noch mit dem Gedanken, irgendwann wieder nach Ulm zurückzukehren.

Die Kinder Kristina und Hannes werden in den Jahren 1993 und 1994 geboren, es folgt Tochter Marlene im Jahr 1998. Als die Jüngste zwei Jahre alt ist, arbeitet Martina in einem Outlet in Bad Rodach. Eine Tagesmutter betreut die Kinder, während sie und ihr Mann außer Haus tätig sind. Martina Walz ist in dieser Zeit beruflich viel in ganz Deutschland unterwegs, manchmal auch über Nacht. Als die Kinder in die Pubertät kommen, spürt sie, dass sie zu Hause gebraucht wird.

„Kleine Kinder benötigen eine liebevolle Betreuung, große Kinder ein Gegenüber. Ich wollte mehr zu Hause sein“, sagt sie. Sie geht einen ungewöhnlichen Schritt, kündigt ihren gut bezahlten Job, befasst sich mit klassischer Homöopathie und lässt sich zur Heilpraktikerin ausbilden. Sie arbeitet zunächst in Meeder, später in Coburg. Mit ihren Patienten spricht sie viel, sie nimmt sich Zeit für die Erhebung der Anamnese und stößt dabei immer wieder auf das Thema Trauer, „dass ich schon gedacht habe, kommen alle zu mir, die ein Trauerproblem haben oder ist es ein Problem unserer Zeit?“

Sie spürt, dass in diesem Bereich viel im Argen liegt. „Es ist mir bewusst geworden, wie wichtig ein guter Abschied ist. Ich wollte wissen, wie ich selbst mit der Trauer der Menschen umgehen kann.“ Hinzu kommt, dass sie schon immer gerne geschrieben hat. Walz lässt sich zuerst zur Trauerrednerin ausbilden und dann zur Trauertherapeutin.

„Und ich habe selbst erfahren, wie wichtig es ist, dass man sich gut verabschiedet vom Verstorbenen, von daher ist diese Arbeit zu mir gekommen.“

Walz arbeitet seit einigen Jahren hauptsächlich als Trauerrednerin und in ihrer Eigenschaft als Heilpraktikerin auch als Trauertherapeutin. Walz steht Hinterbliebenen in ihren schweren Stunden zur Seite, sie hört aufmerksam zu, verfasst Texte, die sie individuell auf den Verstorbenen abstimmt. Sie beschäftigt sich intensiv mit dem Leben des Verstorbenen. „Es gibt fast nichts Persönlicheres als die Trauerrede für einen Menschen. Es tauchen zwar gewisse Lebenseckdaten in der Trauerrede auf, aber wichtiger ist die Persönlichkeit des Verstorbenen.“ Die Inspiration für ihre wohlformulierten Worte kommen von den Angehörigen, aber auch vom Verstorbenen selbst.

„Mein Ziel ist es immer, dass die Angehörigen ihren Verstorbenen erkennen in den Worten, die sie hören. Und dass sie im Anschluss an die Feier sagen können: ‚das war eine schöne Feier und es hätte ihm oder ihr gefallen‘. Auch, oder gerade weil das Wort ‚schön′ im Zusammenhang mit einer Trauerfeier vielen im ersten Moment schwerfällt, auszusprechen.“

Trauerredner/innen wie Martina Walz werden immer dann gebucht, wenn Angehörige eine Alternative zur kirchlichen Beerdigung suchen. „Zum Beispiel, weil der Verstorbene konfessionslos war und der Pfarrer gar nicht kommen würde, oder weil die Familie oder der Verstorbene möchten, dass ein Redner spricht.“ Das heißt nicht aber nicht, dass keine Gebete oder kirchlichen Lieder gesungen werden können.

„Es ist mir bewusst geworden, wie wichtig ein guter Abschied ist.“

Martina Walz bezeichnet sich selbst als einen sehr gläubigen Menschen. Sie bedauert, dass in Mitteleuropa Tod und Trauer oft verdrängt werden. „Wir haben keine gute Trauerkultur. Tatsache ist aber, dass wir alle sterben und das annehmen müssen. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, müssen wir damit umgehen, es ist also besser, wenn wir uns das bewusst machen“, sagt sie. Anders als oft gesagt, gehöre für sie der Tod eben nicht zum Leben. Genau deswegen sei es oft so schwer, ihn anzunehmen.

Stirbt ein Mensch, wüssten Angehörige oft gar nicht, dass es verschiedene Wege des Abschiedsnehmens gibt. Beerdigungen, sagt Walz, müsse man nicht einfach geschehen lassen, sondern man könne auch andere, neue Wege gehen. „Jeder Mensch ist so individuell, jeder Mensch hat etwas anders, was ihn auszeichnet. Und für die Angehörigen ist ein Abschied etwas sehr Persönliches. Da dürfen sie ruhig ein wenig mutiger sein und Fragen stellen, ob dies oder jenes möglich ist.“ Die meisten Bestatter stünden Wünschen sehr aufgeschlossen gegenüber und Trauerredner sowieso.

Rituale sind ein wunderbares Gefährt

Martina Walz hört viele Geschichten, sie wird mit viel Leid und Kummer konfrontiert. Sie erfährt von Schicksalen, die sie tief berühren und mit denen sie umgehen muss. „Ich höre oft , wenn ich mit Menschen spreche, ‚das könnte ich nicht, ich müsste mitweinen‘. Dann sage ich, ‚ich weine auch manchmal, zusammen mit den Angehörigen, aber nicht an der Trauerfeier‘.“ Sie ist die Diejenige, die den Angehörigen Kraft gibt, an der sich die Trauergäste festhalten und Trost suchen. Menschen, die in belasteten Bereichen arbeiten, sagt sie, haben ihre eigenen Werkzeuge, mit dem Gehörtem und Erlebtem umzugehen. Walz helfen dabei bestimmte Rituale. „Meine Aufschriebe zum Beispiel, die ich während des Trauergespräches mitschreibe, verbrenne ich nach der Trauerfeier. Da steht auch viel drin, was ich nicht direkt verwende, weil es Vertraulichkeiten sind, die mir aber oft helfen, mich einzufühlen“, sagt sie.

Überhaupt seien Rituale eine große Hilfe bei der Bewältigung von Trauer und in vielen Lebenssituationen. „Wenn man eine Handlung im Ritual vollzieht, dabei Symbole verwendet, mit denen man sich identifizieren kann, ist es leichter, die Situation anzunehmen.“ Angehörige könnten etwa bewusst die Urne des geliebten Menschen tragen und diese ablegen. Je nachdem, was den Verstorbenen ausgemacht hat, können sich Angehörige und Freunde am Jahrestag treffen, gemeinsam etwas pflanzen, Bänder mit Erinnerungen verknoten oder Steine sammeln.

„Rituale können ein wunderbares Gefährt sein, um Dinge von der Seele nach außen, oder eben umgekehrt, von außen in die Seele zu transportieren“, sagt die 59-Jährige. Sie helfen demnach auch Lebensübergänge, sei es eine Hochzeit, eine Scheidung oder den Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand, bewusster zu erleben. Mit Ritualen nimmt man in allen Lebenslagen dankbar Abschied vom Alten und begrüßt das Neue. Genauso ist es, wenn man sich von einem geliebten Menschen verabschieden muss. Eine Stunde haben wir uns unterhalten und die Zeit ist wie im Flug vergangen. Walz berührt mit ihren Worten, sie strahlt Wärme aus und sie hört aufmerksam zu.

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